Skip to content

Instantly share code, notes, and snippets.

@sthesing
Last active January 5, 2016 08:20
Show Gist options
  • Star 0 You must be signed in to star a gist
  • Fork 0 You must be signed in to fork a gist
  • Save sthesing/5645624 to your computer and use it in GitHub Desktop.
Save sthesing/5645624 to your computer and use it in GitHub Desktop.
Mr Q - Geschichte für den Writing Jam vom 24.-26.05.2013

Geschichte für den Writing Jam vom 24.-26.05.2013

Die Tropes, die ich verwenden will:

Noch kein Titel

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Ich werde Ihnen nun die Geschichte eines Helden erzählen. Seinen richtigen Namen kennen wir nicht, wir wissen nur, dass er im Spiel des Lebens als "Mr. Q" geführt wurde.
Die Geschichte beginnt mit Mr. Q auf der Flucht. Er war in Eile. Sein Vorsprung war nun zwar einigermaßen komfortabel, aber hart erkauft. Er würde ihn nicht durch Trödeln aufs Spiel setzen.
Aber bei aller Notwendigkeit, schnell zu sein, würde er sich möglichst bald auf die Suche nach einem Unterschlupf machen müssen. Seine Wunde war nur notdürftig verbunden. Die Blutung war zwar für's erste gestillt, aber er musste die Kugel entfernen, wenn er überleben wollte. Vor allem bei den Strapazen, die ihm bevorstanden. Seine Verfolger würden ihm nicht den Gefallen tun, das Tempo zu verringern, weil er verwundet war. Im Gegenteil, sie witterten bereits ihre Chance.
Aber immerhin hatte er selbst vier von Ihnen eine Kugel verpasst, und soweit er in der Hitze des Gefechts hatte einschätzen können, hatten seine Kugeln besser getroffen als die, die nun in seinem Oberschenkel steckte. Es waren also nur vier übrig, und es würde eine Weile dauern, bis sie wieder zu acht waren.
Die acht Jäger. Acht. Was für eine blöde Zahl. Die Kommission war wohl vor symbolträchtigeren Zahlen zurückgeschreckt. Man wollte sich wohl nicht vorwerfen lassen, von den glorreichen Sieben oder von Tolkiens neun Ringgeistern inspiriert zu sein. Dabei gab es doch gar niemand mehr, der solche Filme oder solche Bücher konsumierte. Zumindest niemand von Bedeutung.
Er schätzte, dass sie etwa zwei Tage brauchen würden, um sich neu zu gruppieren. Einen oder zwei Ersatzmänner hatte die Kommission vermutlich immer griffbereit, aber für vier Jäger Ersatz zu besorgen, das musste doch ein paar Tage dauern. So hoffte er zumindest. Aber gerade weil er vier Jäger in einem einzigen Feuergefecht ausgeschaltet hatte, hatte die Kommission eines verstanden: Er war gefährlich. Daher würden sie keine Zeit verlieren.

Er hatte mehrere falsche Spuren gelegt, die den Eindruck erweckten, dass er die Ruinenstadt in Richtung Süden verlassen hatte, wie es die meisten taten. Die meisten (bekannten) Siedlungen hier in der Quarantänezone lagen nahe der Grenze, wo zumindest die Hoffnung auf Schmuggel und illegalen Handel mit der Union lockte. Und der Süden versprach mildere Winter. Daher zogen die meisten Kandidaten auf die eine oder andere Weise an der Grenze entlang nach Süden.
Er hatte jede einzelne dieser Spuren mit voller Absicht durchschaubar und offensichtlich gestaltet. Nicht sehr durchschaubar und offensichtlich, aber gerade genug. Es wäre auch vergebene Liebesmüh gewesen, mehr Sorgfalt an diese falschen Spuren zu verschwenden. Von den drei Himmelsrichtungen, die zur Verfügung standen, wurde Süden nur von den schwächsten Kandidaten ausgewählt. Es war ein offenes Geheimnis, dass es in den Siedlungen im Süden von Informanten für die Kommission nur so wimmelte.
Wer hart und kampferprobt war, versuchte im Norden sein Glück. Das Klima dort war unfreundlicher und auch die Menschen, die dort entlang der Grenze zur Union siedelten waren rauer und wenig Gastfreundlich. Der Menschenschlag dort galt als hart und eigenbrötlerisch. Sie bildeten keine großen Gemeinschaften, sondern lebten meist in kleinen Gruppen oder einzeln und lebten nach einer Philosophie, die man mit "Ich kümmere mich um meinen Kram, die anderen Menschen interessieren mich nicht!" hinreichend umschrieben könnte.
Genau deshalb war der Norden für die meisten Kandidaten die Richtung der Wahl. Man hatte zwar nicht mit Hilfe zu rechnen, aber dafür fiel ein einzelner Reisender, der für sich bleiben wollte, nicht sonderlich auf. Und wenn, dann interessierte sich keiner für ihn, so lange er keinen Ärger machte.
Nach Westen, allerdings, ging niemand. Schließlich war das Ziel des ganzen ja zu überleben und am Ende als freier (und reicher) Mann die Grenze zu überschreiten. Für beides - Überleben und Rückkehr in den Osten - sanken die Chancen massiv, wenn man nach Westen ging, ins Herz der Quarantänezone, in die Wildnis. An den wenigen Stellen, an denen Menschen überhaupt leben konnten, herrschten Gewalt und Anarchie. Niemand kehrte von dort zurück, zumindest nicht lebendig.
Mr. Q hatte vor, genau dort hin zu gehen. Er hatte neben den offensichtlichen falschen Fährten nach Süden eine sehr schwer zu durchschauende falsche Fährte nach Norden gelegt, in der Hoffnung, dass der Qualitätsunterschied zwischen dieser und den anderen falschen Fährten ihr Glaubwürdigkeit verleihen würde. Das sollte eigentlich funktionieren.
An diesen Teil des Planes glaubte er. Das Problem waren die anderen Teil des Planes:

  • Nach Westen gehen. Verwundet.
  • Überleben. Lange genug, bis die Frist vorbei war.
  • Lebend zurückkehren an die Grenze zur Union.
  • Auf sich aufmerksam machen, ohne erschossen zu werden.
  • Die Wachen an der Grenze Überzeugen, dass er Mr. Q war.
  • Als Sieger nach Hause zu seiner Familie zurückkehren.
  • Vorher nicht still und heimlich ermordet werden, um die Kommission vor Gesichtsverlust zu bewahren.

Das einzige, was ihn beruhigt diesen Plan verfolgen ließ, war, dass seine Familie auf jeden Fall abgesichert war, egal ob er überlebte, oder nicht. Es ging "nur noch" um sein Leben, und um die Frage, ob er seine Familie jemals wiedersehen würde.
So war er nun schon mehrere Tage Richtung Westen unterwegs, durch unwirtliches Gelände, dass man wohl Steppe nennen musste, das jedoch mehr Steine als Gras enthielt.
Wenn erst nicht bald auf Wasser stoßen würde, würde der Durst der Kugel in seinem Bein und der zu befürchtenden Infektion zuvor kommen. Das Problem war: Wo Wasser war, waren vermutlich auch Menschen. Und diese Menschen waren eine unkalkulierbare Variable.
Würden sie ihm helfen, ihn ignorieren oder ihn angreifen? Das beste Vorgehen wäre, möglichst unentdeckt zu bleiben, aber Mr. Q zweifelte, ob sich dies bewerkstelligen lassen würde.

Als endlich in einer Senke ein Dorf in Sicht kam, begann sein Herz merklich stärker zu schlagen, was zu einem schmerzlichen Pulsieren in seiner Wunde führte. Dieses Pulsieren beunruhigte ihn. Es war ein Zeichen dafür, dass die Kugel recht nah an einem großen Blutgefäß saß. Das könnte bedeuten, dass er mit einem umfangreichen Blutverlust rechnen musste, wenn er sich die Kugel entfernte. Aber all das war Zukunftsmusik. Zunächst einmal galt es Wasser zu finden. Es blieb einen Moment stehen und atmete ruhig durch, bis der Schmerz wieder gleichmäßig geworden war, dann begann er, vorsichtig, in die Senke hinabzugehen.
Als er das Dorf endlich erreichte, stellte er zu seiner Überraschung fest, dass es sich sehr leicht bewerkstelligen ließ, unbemerkt zu bleiben. Diese Siedlung wirkte wie ausgestorben.
Eine Geisterstadt., dachte er und widerstand dem Drang, seine Revolver zu ziehen. Falls es hier noch Menschen gab, hatten sie beschlossen im Verborgenen zu verbleiben. Solche Menschen beobachteten zunächst einmal, und gingen nicht direkt zum Angriff über. Er wollte keinen feindseligen Eindruck erwecken.
"Wehrhaft ja, feindselig nein!", murmelte er und bemühte sich, nicht zu hinken. Er war nun bereits recht weit in den Ortskern vorgedrungen, hatte drei kreuzende Straßen überquert und kam nun endlich in Sichtweite dessen, was sich im Zentrum so ziemlich jeder Siedlung außerhalb der Union befand: ein Brunnen.
Sein Durst, der bis gerade eben wie ein leise aber konstant winselnder Hund gewesen war, brüllte nun wie ein Tiger. Mr. Q musste sich sehr beherrschen, nicht zu dem Brunnen zu sprinten und sich einer Wasserorgie hinzugeben. Statt dessen ging er langsam weiter und murmelte immer wieder: "Bitte, lass ihn nicht ausgetrocknet oder umgekippt sein! Bitte, lass ihn nicht ausgetrocknet oder umgekippt sein!"
Er wusste gar nicht recht, zu wem er da sprach. An einen Gott glaubte er nicht, auch nicht an Schicksal oder sonst irgend eine Entität, in die man irgend eine Form von übernatürlicher Verfügungsgewalt über diesen Brunnen hineinphantasieren könnte. Aber es tat gut, seine Hoffnung in Worte zu fassen. So schien sie weniger unrealistisch. Tatsächlich standen die Chancen recht hoch, dass er diesem Brunnen nichts trinkbares würde entreißen können. Schließlich musste es einen Grund haben, warum dieses Dorf verlassen war.
Du weißt nicht sicher, dass es verlassen ist! sagte eine Stimme in seinem Kopf.
"Schnauze, besserwisserischer Klugscheißer."
So nannte er diese Stimme für sich immer. Eine andere Stimme in seinem Kopf nannte er für gewöhnlich "furchtsames Weichei", eine weitere "faules Arschloch". Er mochte keine der Stimmen in seinem Kopf. Vermutlich weil er sich selbst nicht besonders mochte.

Zu seiner Erleichterung war das Wasser im Brunnen völlig in Ordnung. Es war sogar sehr schmackhaft. Vermutlich schmeckte einem verdurstenden selbst das faulste Wasser gut, aber er glaubte nicht, dass es daran lag. Nachdem er seinen Durst für's erste gestillt hatte, füllte er die beiden Wasserschläuche und die Plastikflasche, die er in der Ruinenstadt gefunden hatte.
Schon verrücktes Zeug, dieses Plastik., dachte er. Diese Flasche musste schon sehr alt sein, schließlich verwendete niemand außer den reichsten der Reichen noch Plastik. Sein Großvater hatte ihm noch Geschichten aus der Zeit erzählt, in der Plastik ein billiges Wegwerfgut gewesen war, weil Erdöl in großen Mengen zur Verfügung stand. Jetzt war Erdöl und alles, was man daraus herstellte, ein Luxusgut. In der Union sah man Autos, Nylonstoffe, Lösungsmittel und Medikamente in den Händen der Reichen. Er selbst, der in der Arbeiterkaste der Union aufgewachsen war, hatte nie so einen Gegenstand in Händen gehalten. Diese Plastikflasche war das erste mal.
Während er seine Behältnisse füllte, taxierte er unauffällig die umliegenden Gebäude und versuchte, einzuschätzen, welches davon gut lag, um ungestört zu sein bzw. Eindringlinge frühzeitig zu bemerken, und gleichzeitig so gelegen war, dass man den Dorfplatz und den Brunnen gut beobachten konnte. Er würde eine Weile in diesem Dorf bleiben, um sich um die Kugel in seinem Bein zu kümmern. Falls es hier noch Menschen gab, oder falls seine Verfolger zu ihm aufschlossen, alle würden früher oder später diesen Brunnen aufsuchen. Er brauchte einen möglichst sicheren Unterschlupf, von dem aus er den Brunnen beobachten konnte.
Als er sich für ein Gebäude entschieden hatte, zog er sich in der entgegen gesetzten Richtung vom Dorfplatz zurück, umrundete den Dorfplatz und näherte sich dem Gebäude vorsichtig von der anderen Seite. Zunächst musste er prüfen, ob sich in dem Gebäude nicht jemand befand, der seine Eigenschaften ähnlich nützlich erachtete wie er. Unterwegs sammelte er ein paar trockene Äste und den metallenen Deckel einer verwaisten Mülltonne ein.
Schnell hatte er einen Zugang zu dem Gebäude gefunden. Er arbeitete sich schleichend vor, prüfte sorgfältig jeden Raum. Erst als er sich sicher war, dass das Gebäude leer stand, fühlte er sich sicherer und begann, die Zugänge so gut es ging zu verschließen, so dass er selbst keine bösen Überraschungen erleben würde.
Er richtete sein Lager in einem der Räume ein, von dem man den Dorfplatz mit dem Brunnen gut übersehen konnte. Als nächstes würde er sich auf die Suche nach Material machen, wie er sein Messer desinfizieren könnte, um die Kugel zu entfernen, aber zunächst brauchte er eine kurze Rast.
Er trank langsam in kleinen Schlücken die Plastikflasche aus und verzog vor Schmerz das Gesicht, als er aufstand, um sich ans Werk zu machen. Dabei warf er einen kurzen Blick auf den Brunnen und zuckte zusammen. Dort stand jemand.

Mr. Q nahm wohlwollend zur Kenntnis, dass er - ohne darüber nachzudenken - seine Revolver gezogen hatte. Trotz der Verwundung, der Dehydrierung und den Strapazen der letzten Tage schienen seine Instinkte und Reflexe noch zu funktionieren.
Seine Aufmerksamkeit aber war auf den Mann gerichtet, der gerade den Eimer am Seil in den Brunnen hinabließ und sich dabei nervös umsah. Er mochte um die vierzig Jahre alt sein, hatte schütteres schwarzes Haar und einen mit grauen Strähnen durchsetzten Vollbart. Er erinnerte Mr. Q ein wenig an Hemingway, wie er in den letzten Jahren vor seinem Tod ausgesehen hatte.
Bevor sich Mr. Q noch weitere Gedanken über den Mann machen konnte, trat ein zweiter Mann auf den Dorfplatz. Es war ein langer, hagerer Kerl mit strohblondem Haar und einem hämischen Lächeln auf dem Gesicht. Er schien augenscheinlich nicht bewaffnet zu sein, aber alles in seinem Auftreten sprach dafür, dass er eine versteckte Waffe jederzeit Griffbereit hatte. Mr. Q versuchte mit geübtem Blick zu erkennen, wo der Hagere die Waffe versteckt hatte, konnte jedoch nichts entdecken. Nach einem kuren Moment fiel Mr. Q die Erklärung dafür ein. Der Hagere hatte keine Waffe. Aber er war nicht allein. Irgendwo im Verborgenen musste sich noch eine dritte Person bereit halten.
"So viel zum Thema Geisterstadt.", murmelte Mr. Q.
Nun hatte auch der Mann am Brunnen den Neuankömmling bemerkt und hatte vor Schreck das Seil losgelassen, so dass der Eimer, den er gerade hochgezogen hatte, nun wieder in den Brunnen hinab sauste.
"Marvin, Marvin, Marvin.", ergriff der Hagere in spöttisch-tadelndem Ton das Wort. "Du bist ja immer noch hier! Hatte Riella dir nicht unmissverständlich klar gemacht, was passieren würde, wenn du dich nach Sonnenaufgang immer noch in diesem verdammten Kaff aufhältst? Oh, du brauchst nicht zu antworten. Natürlich hat sie das. Sie hat es klar und deutlich für alle gesagt, als sie verkündet hat, dass das Dorf geräumt wird. Und dann hat sie es dir noch einmal persönlich gesagt, als alle anderen schon brav abgezogen waren. Und nun bist du immer noch hier. Was soll das? Hast du etwa den Wunsch zu sterben?"
Der Mann am Brunnen - Marvin - antwortete trocken: "Natürlich nicht."
"Warum bist du dann noch hier? Warum bist du nicht schon längst auf dem Weg in ein anderes Dorf? Du hast noch diese verdammten Kinder am Bein, oder?"
"Nein, die Kinder sind längst weg!", antwortete Marvin und alles an seinem Tonfall sagte Mr. Q, dass er log. Und dass er ein schlechter Lügner war.
Auch der Hagere schien zu diesem Schluss zu kommen. "Marvin, erzähl mir keinen Scheiß! Ich habe dich erst vor einer knappen halben Stunde von da hinten aus an diesem Brunnen gesehen. Wo ist der schicke Hut hin, den du vorhin aufhattest?" Mr. Q fasste an seinen eigenen Hut. Schick würde er ihn nicht nennen, dennoch war offensichtlich, dass der Hagere nicht Marvin, sondern ihn gesehen hatte.
"Alleine würdest du nie so viel Wasser verbrauchen.", fuhr der Hagere fort. "Das Wasser ist für die Kinder. Erzähl mir also keine Geshichten."
"Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest!", antwortete Marvin panisch. Mr. Q wusste zwar, dass er gerade jetzt die Wahrheit sagte, aber er musste zugeben, dass er an Stelle des Hageren Marvin kein Wort geglaubt hätte.
"Ja ja, spar' dir das!", unterbrach ihn der Hagere barsch. "Das ist deine letzte Chance. Hau ab und geh woanders hin." Er grinste und fügte dann spöttisch hinzu: "Sieh es als Chance! So ein neues Zuhause zu finden ist eine Herausforderung, an der du wachsen kannst!"
"Du weißt genau, dass wir nie wo anders ein 'Zuhause' finden werden.", gab Marvin grimmig zurück. "Man würde uns sofort wieder davon jagen!"
Der Hagere grinste dreckig: "Die Kinder ja. Aber dich? Du wärst willkommen. Na ja... so willkommen wie man als mittelloser Fremder nun mal sein kann. Aber du würdest klar kommen."
"Ich lasse die Kinder nicht alleine."
"Dazu zwingt dich doch auch keiner! Du musst nur gehen. Nimm deine verdammten Kinder und werde glücklich! Aber nicht hier, verstanden?" Der Hagere klang genervt.
"Ich verstehe immer noch nicht, warum das ganze Dorf weggehen muss. Riella hat meine Fragen immer noch nicht beantwortet. Warum muss das Dorf leer sein? Das ergibt keinen Sinn! Wenn Riella erklären würde..."
"Riella", unterbrach in der Hagere scharf. "hat alles gesagt, was du wissen musst. Wenn du nach Sonnenaufgang noch hier bist, stirbst du. Nun, die Sonne scheint und du bist hier. Aber ich bin heute gut drauf und gebe dir noch eine letzte Chance.. Wenn du leben willst, machst du dich jetzt auf den Weg."
Marvin blickte den Hageren entschlossen an. "Du wirst mich nicht töten.", sagte er und schien sich dessen sicher zu sein.
Mr. Q wusste es besser. Marvin zog seine Überzeugung offenbar vor allem aus der Tatsache, dass der Hagere unbewaffnet war. Aber Mr. Q war sicher, dass auf Marvin tödliche Gefahr lauerte. Und er hatte recht.
"Nein, ich werde dich nicht töten.", sagte der Hagere ruhig und zeigte auf einen Punkt hinter Marvin. "Das wird Bison erledigen."
Marvin fuhr herum und sah, wie hinter ihm ein Mann aus einem Hauseingang trat, der zwar etwas kleiner als der Hagere war, aber dafür in etwa dreimal so breit. Er hielt ein Gewehr in der Hand, das Mr. Q sofort als ein UAR-33 identifizierte. Das ehemalige Standard-Sturmgewehr der Unionsarmee. Er selbst hatte in seiner Zeit beim Militär ein solches gehabt. Seit ein paar Jahren war es bei den Truppen durch das UAR-43 ersetzt worden, und anscheinend tauchten nun alte Bestände hier in der Quarantänezone auf.
Der breite Mann, den der Hagere Bison genannt hatte, hielt das Gewehr auf Marvin gerichtet. Dieser hob die Hände und sagte: "Hey, Bison, mach langsam..."
Weiter kam er nicht, weil er durch das laute Knallen einer Salve aus dem Gewehr unterbrochen wurde.
Bison hatte gut gezielt, das musste Mr. Q ihm lassen. Von Marvins Kopf war nichts mehr übrig außer Blut und ein paar Fetzen Fleisch.
Der Hagere stieg unbekümmert über Marvins Leiche hinweg und klopfte Bison anerkennend auf die Schulter. "Guter Schuss, Big B! Komm, statten wir Riella Bericht ab. Vermutlich werden wir das ganze Dorf nach diesen Scheißkindern absuchen müssen. Dann will ich lieber früher als später damit anfangen."
Bison nickte und die beiden verließen den Dorfplatz und verschwanden aus Mr. Qs Sichtfeld.

Mr. Q fluchte laut. Bevor er in das Dorf gekommen war, hatte er mit einer bewohnten Siedlung gerechnet und gehofft, trotzdem irgendwo einen ruhigen und sicheren Ort zu finden, wo er die Kugel aus seinem Bein entfernen konnte. Dann hatte sich das Dorf als verlassen erwiesen, was ein außerordentlicher Glücksfall gewesen war. Und nun hatte er es mit einem Dorf zu tun, das in Kürze von bewaffneten Menschen nach sich versteckenden Personen durchsucht werden würde. Er überlegte kurz, ob er nun einfach kurzerhand das Dorf verlassen sollte und die Entfernung der Kugel auf einen späteren Zeitpunkt verschieben sollte, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Die Chancen, dass er in seinem jetzigen Zustand den Fußmarsch zur nächsten menschlichen Siedlung überleben würde, waren gering. Und selbst wenn, hatten die nächstliegenden Dörfer offensichtlich in letzter Zeit viele Neuankömmlinge aufnehmen (oder abwehren) müssen, nämlich die ehemaligen Bewohner dieses Dorfes hier. Er musste also sowohl mit erhöhter Wachsamkeit der Einwohner rechnen, als auch mit einem Mangel an unbewohnten, ungestörten Orten, um seine Kugel loszuwerden.
Er würde also hier bleiben. Das bedeutete, dass Eile geboten war. Er musste die Kugel schnell entfernen und dann hoffen, dass er entweder den Suchtrupps (er erlaubte sich die leise Hoffnung, dass es sich nur um den Hageren und Bison handeln würde) entgehen oder das Dorf schnell genug verlassen konnte. Wenn er nicht all zu viel Blut verlor, konnte das klappen. Der nun wieder stark pulsierende Schmerz in seinem Bein erinnerte ihn allerdings daran, dass er eher mit viel Blutverlust zu rechnen hatte.
"Ein Grund mehr zu Eile.", knurrte er und begann, das Reisig, dass er gesammelt hatte, in dem metallenen Deckel, den er ebenfalls draußen aufgesammelt hatte, aufzuschichten und ein winzig kleines Feuer zu machen, gerade genug, um die Klinge seines Messers in der Flamme erhitzen zu können.

Der Sergeant in seiner Militäreinheit hatte immer gesagt: "Wenn ihr eine Not-OP im Feld durchführen müsst, verschwendet keinen Schnaps darauf, um euer Messer zu desinfizieren, der ist besser verwendet, wenn ihr ihn der Patientin oder dem Patienten verabreicht. Jeder Schluck betäubt, und jedes bisschen Betäubung hilft. Das Messer desinfiziert ihr statt dessen in der Flamme."
Mr. Q hatte keinen Schnaps zur Verfügung. Und wenn er welchen gehabt hätte, hätte er nicht gewusst, ob er ihn trinken würde.
Bei der Frage, was denn bei Selbstoperationen Priorität einzuräumen sei, der sicheren Hand und dem klaren Kopf, wenn man das Messer führt, oder der Betäubung, wenn man das Messer zu spüren bekommt, hatte sein Sergeant sich nie abschließend geäußert.
"Beides ist wichtig, Leute!", hatte er gesagt. "Und mal ehrlich: Wenn ihr in der Situation seit, euch selbst eine Kugel entfernen zu müssen, seit ihr vermutlich die letzte Person, die von eurer Einheit übrig ist, mitten im Gefechtsgebiet und obendrein verwundet. Das ist eine Situation, die mit 'völlig im Arsch' wohlwollend beschrieben ist. Eure Chancen, da Lebend rauszukommen sind so gering, dass es vermutlich nicht mehr darauf ankommt, was ihr mit dem Schnaps anstellt. Ich für meinen Teil würde mir denken: Wenn ich schon bald verrecke, dann wenigstens sturzbesoffen. Aber das ist eine persönliche Einschätzung, die religiöse Bereiche berührt, und das Kommando der Infanterie der Union hat mich nicht autorisiert, meinen Soldatinnen und Soldaten Ratschläge in religiösen Fragestellungen zu geben. Entscheidet das also verdammt noch mal selbst."
Sergeant Ackerman oder "Ace" wie ihn alle nannten, hatte erhöhten Wert darauf gelegt, dass alle, die zu seinem Platoon gehörten, gut in T3C, oder wie er es aussprach: "T Triple C" ausgebildet waren. "Tactical Combat Casualty Care", war der offizielle Terminus der Unionsarmee.
"Aber schert euch nicht darum, was die Büroaffen dazu sagen. Die Büroaffen scheren sich nämlich einen Scheiß um euch! Das ist auch genau der Grund, warum ich darauf bestehe, dass ihr alle Experten in T3C werdet. Versteht ihr? Die Büroaffen schicken euch da raus und ihr werdet vom Feind beschossen. Aber ihr seid Kanonenfutter! Keiner interessiert sich dafür, ob ihr lebt oder nicht lebt. Jeder einzelne von euch ist bereits abgeschrieben. Wenn ihr im Feld verwundet werdet, rechnen die Büroaffen knallhart durch, ob es sich überhaupt lohnt, euch ins Feldlazarett zu transportieren. Und wenn ihr aus eigener Kraft dort ankommt, rechnen sie noch einmal, ob es sich lohnt, euch zu behandeln. Die Rechnung ist einfach: Ist die Ausbildung eines neuen Rekruten teurer als eure Behandlung? Wenn ja, habt ihr Glück gehabt. Wenn nein, lassen sie euch ganz einfach verrecken. Und deshalb, Leute, werdet ihr verdammt nochmal die allerspeziellsten Spezialexperten in T3C, die es auf diesem Planeten gibt, oder ihr verlasst mein Platoon! Keiner meiner Leute wird im Feld zurückgelassen, weil unter dem Strich eine rote Zahl steht!"

Mr. Q grinste grimmig. "Wollen wir hoffen, dass ich Spezialexperte genug geworden bin, Sarge."
Er kramte in seiner Tasche, zog ein paar Stoffstücke hervor, die er in der Ruinenstadt aufgelesen hatte, wählte die saubersten aus und riss sie in Streifen, die er als Verbandsmaterial verwenden würde. Die schmutzigeren Stücke rollte er zu einer festen handlichen Stoffrolle zusammen, auf die er beißen würde, während der die Kugel entfernte.
Er erhitzte die Klinge, löschte das kleine Feuer und prüfte ein letztes mal, ob er alles bereit gelegt hatte. Dann legte er die Hose ab und entfernte den provisorischen Verband, den er sich nach dem Feuergefecht in der Ruinenstadt angefertigt hatte. Die Wunde sah nicht gut aus. Es wurde Zeit, dass er die Kugel entfernte. Er entfernte den Gürtel aus seiner Hose und begann, so gut es ging, seinen Oberschenkel damit abzubinden.
Er setzte sich auf den Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, all seine Utensilien in Griffweite bereit gelegt, nahm noch einen großen Schluck Wasser und griff dann zum Messer.

Sign up for free to join this conversation on GitHub. Already have an account? Sign in to comment