Ich wurde jetzt schon öfters gebeten aufzuschreiben was mir alles geholfen hat, mit der Erholung vom Postcovid anzufangen und mich so zu verbessern. Anstatt das immer wieder aufzuschreiben, mache ich jetzt lieber diesen Text. Hoffentlich ist er für euch hilfreich. Ganz wichtig vorneweg: Nur weil etwas für mich funktioniert hat, heißt es nicht, dass es auch für alle anderen die unter Postcovid oder gar ME/CFS leiden funktioniert.
Kurz zu mir und meinem Krankheitsverlauf: Ich bin gerade 44 Jahre alt und männlich. Im Februar 23 hatte ich mir leider Covid eingefangen, das unauffällig verlief.
Ich fahre gerne viel Fahrrad und hatte 3 Wochen Pause gemacht, bevor ich wieder mit dem Training anfing. Meine Fitness stellte sich nur langsam teilweise wieder her. Ich machte Fortschritte und versuchte mich trotzdem im Mai an meinem ersten Bikepacking-Rennen. Nach einer sehr unbefriedigenden Leistung am ersten Tag litt ich unter meinem ersten großen Crash. Meine Symptome waren zum Glück nur Muskelschmerzen, schwere Glieder, geminderte Hirnleistung (was mir aber erst dieses Jahr aufgefallen ist) und Belastungsintoleranz. Nach mehreren Monaten von Crashes und kurzen Hochphasen hatte ich wirklich die Nase voll und fing an stark an meiner Genesung zu arbeiten. Seit Februar 24 war ich für 7 Monate krank geschrieben. Im Juli machte ich eine Reha und konnte im Anschluss wieder meine Arbeit aufnehmen. Inzwischen genieße ich es, zentrale Aspekte meines alten Lebens wieder verfolgen zu können.
Kurz gesagt: Longcovid ist wenn das Covid langer anhält als drei Wochen (oder wieder auftaucht), Postcovid ist es wenn’s auch noch nach 6 Monaten da ist. Unter Postcovid fallen viele verschiedene Symptome und es sind mehrere Krankheiten die unter diesem Begriff fallen. Und ME/CFS ist eine furchtbare Krankheit die Menschen sich nach Virusinfektionen einfangen können, schon seit Jahrzehnten bekannt und schrecklich wenig erforscht ist. Für Longcovid wie für ME/CFS gibt es kein wirksamen Medikamente oder Therapien. Wir müssen das also ganz mit Hilfe der Selbstheilungskräfte des Körpers hin kriegen was, gelinde gesagt, suboptimal ist.
Der zentrale Krankheitsaspekt, den all diese Begriffe gemein haben und über den ihr wissen müsst ist die Belastungsintoleranz oder PEM. Im Slang wird das auch Crash genannt. Was das genau ist hört ihr euch besser von nem Experten an: https://www.youtube.com/watch?v=MgLVAoufsvM
Was genau jetzt die Krankheitsursachen sind und wie die Mechanismen funktionieren wissen wir auch noch nicht genau. Es gibt da verschiedene Theorien, die alle Sinn ergeben: Imbalance in den Muskeln (siehe https://www.youtube.com/watch?v=9NoOtxNyEPQ&feature=youtu.be ), Proteine die Mitochondrien blockieren und ich persöhnlich hab auch noch die Theorie, dass das alles dazu führt das die Muskeln Laktat nicht vernünftig verarbeiten können. Zum Glück wird da inzwischen mehr zu geforscht weil’s jetzt ja ganz viele Leute mit Long-/Postcovid gibt und das wahrscheinlich auch noch mehr werden.
Keine Sorge, dass ist kein “ach, das ist alles nur psychosomatisch!”, das habt ihr bestimmt leider schon oft genug gehört. Ich bin allerdings davon überzeugt das die Psyche entscheidend der Heilung beiträgt. Vor allen Dingen so lange es halt keine Medikamente gibt.
Was mir in dieser schweren Zeit geholfen hat waren vor allen Dingen drei Dinge:
- Ich habe den geistigen Spagat gemeistert, die aktuelle Situation zu akzeptieren und gleichzeitig nicht zu akzeptieren in ihr zu verbleiben.
Ein wichtiger Teil von “die aktuelle Situation akzeptieren”: Schaut, dass ihr es euch in eurer Wohnung für eure Einschränkungen gemütlich macht. Ich hab z.B. die Ecke neben meinem Herd so umgeräumt, dass ich die Füße unter die Arbeitsplatte stecken kann. Und auf einmal konnte ich wieder etwas genießen, ich mag die Ecke in meiner Küche wirklich.
Ich habe es immer in meinem Herzen gewusst, dass ich wieder fit werde, ich weiß nur noch nicht genau wann. Aber das kann auch krankhafter Optimusmus meinerseits sein, das kenn ich auch schon von anderen Themen. - Es war für mich nötig aktiv zu trauern, dass das alte Leben nicht mehr verfolgt werden kann. Das tat extrem weh, aber so konnte ich mit der Illusion abschließen, dass dieses in Reichweite sei und mich darauf konzentrieren, was schon funktioniert und an realistischen Zielen machbar ist. Gedanken wie “Ich schone mich jetzt und in einem halben Jahr fahr ich wieder 100km am Wochenende und gehe drei mal die Woche bouldern” sorgen nur dafür dass ihr euch (unbewusst) unter Druck setzt und in den nächsten Crash treibt.
- Coping. Diese Krankheit bringt eins in extrem frustrierende Situationen. Gerade da ist es wichtig einen möglichst kühlen Kopf zu bewahren. Das kann alles mögliche sein: Lieblingsserien gucken, Computerspiele spielen, progressive Muskelrelaxation nach Jakobson, Meditation, um nur einige zu nennen. Was genau euch hilft müsst ihr für euch selbst heraus finden. Das Ziel ist, aus dem Fight or Flight Modus heraus zu kommen und den Stress zu reduzieren.
Ich fand die Genesungsgeschichte aus dieser Podcast-Folge beleuchtet diese drei Punkte nochmal sehr gut.
Bevor wir nun endlich zu den Maßnahmen und Mitteln kommen, die mir geholfen haben, muss ich noch einmal kurz über die Ungeduld sprechen, den sie ist unser größter Feind wenn wir unter Belastungsintoleranz leiden.
Da geht es uns nach einer Crashphase langsam wieder besser und wir wollen doch einfach nur die Dinge tun, die sich so lange aufgestaut haben. Nur um festzustellen, dass das jetzt doch wieder zu viel war. Wenn wir Glück haben direkt ein paar Stunden danach, wenn wir Pech haben kommt der nächste Crash am nächsten oder übernächsten Tag. Für mich, der es mein Leben lang gewöhnt war durch’s Leben zu rennen und dank adhs dazu neige an seltenen Tagen alles auf einmal machen zu wollen, war das die schwerste Lektion die ich lernen musste.
Den nächsten Crash zu triggern ist das einzige, was mit dieser Krankheit einfach geht. Gerade wenn es uns wieder besser geht, müssen wir drauf achten nicht zu viel auf einmal zu wollen und auf unsere Körper zu hören. Das Ziel ist es bis an die Belastungsgrenze zu gehen um sie langsam und stetig erhöhen zu können, nicht über sie zu gehen sobald wir uns etwas besser fühlen. Gerade wenn wir uns mit ein paar Monaten von Crashes richtig in den Keller gebracht haben fühlt sich das richtig albern an und es stellen sich Gedanken ein wie “es wird doch wohl noch möglich sein, dass ich für uns koche”. Hört nicht auf sie und bleibt in euren Grenzen. Es fühlt sich vielleicht doof an, von Freunden im eigenen Heim bekocht zu werden, aber es ist immer noch besser als den Rest der Woche im nächsten Crash zu verbringen.
Wenn es euch ein paar Monate lang wieder besser geht und ihr wie ich euren Alltag weitestgehend wieder ohne große Einschränkungen bestreiten könnt, dann könnt ihr auch mal etwas mehr belasten, aber auch hier gilt es die gefährliche Ungeduld zu zügeln. Nur weil ihr euch wieder besser fühlt und endlich mal wieder einfach nur Muskelkater habt, heißt das noch lange nicht, dass ihr alle Vorsicht über Bord werfen könnt. Ich bin gerade mit dieser glücklichen Situation und werde mit meinem geliebten Bouldern erst vorsichtig experimentieren wenn ich ein Jahr lang ohne PEM meine Fitness ausbauen konnte. Vom stundenlang zu Techno tanzen wage ich gerade noch nicht zu träumen :/
Es geht so einfach sich ein Crash einzufangen. Einmal mit den Freunden nach den Spieleabend in deren Tempo zur S-Bahn gehen oder endlich mal wieder Fahrrad fahren, ohne auf seine Werte zu achten. Und nicht nur dass du dir in wenigen Minuten den Fortschritt von Wochen oder Monaten kaputt machst, eins merkt auch wie es länger und länger braucht sich zu erholen. Im März dachte ich mir noch “eigentlich bin ich jetzt gerade wieder da, wo ich im Juni war”, aber dann sagte ich mir, dass ich so viel mehr über die Krankheit gelernt habe seitdem, und habe das angewendet.
Konkret habe ich mich radikal ausgeruht, alles abgesagt was nicht unbedingt sein musste und alle anderen Belastungen mit 30-Sekunden-Training angegangen (erkläre ich gleich was das ist). Ich habe die Hoffnung das ich mir keinen mehr erlebe, aber falls doch würde ich es wieder genau so angehen.
Ich kategoriere grob nach Gamechanger, Helferlein und Gemischtes. Diese Einteilung ist aber nur auf mich bezogen, vielleicht ist sie für euch genau anders herum.
in der Reihenfolge wie ich’s angefangen habe.
Die Idee ist schwere Belastungen in 30 Sekunden Intervallen anzugehen. Also 30 Sekunden Belastung, 30-60 Sekunden Pause, dann wieder von vorn. Dies war die erste Methode die mir geholfen hat meinen rapiden Abbau einzudämmen. Ich konnte dank ihr auch schwerste Arbeiten erledigen die mich ansonsten definitiv in einen Crash befördert hätten. Eine Uhr mit Timer ist dafür sehr hilfreich.
Belastung ist hierbei relativ zu eurer Situation zu sehen. Ich bin monatelang in 30 Sekunden Intervallen durch die Stadt geschlurft und habe auch so manches mal den Geschirrspüler auf diese Art ausgeräumt. Heutzutage muss ich zum Glück kaum noch drauf zurück greifen.
Ausführlicher könnt ihr euch die hier von einem Sportwissenschaftler erklären lassen. Oder ihr lest euch diesen Blogartikel dazu durch.
Pacing ist eine Methode des Energie- und Aktivitätsmanagements. Wir versuchen in unserer Belastungsgrenze zu bleiben in dem wir das Aktivitätsniveau regulieren. Ich bin da nicht den üblichen Weg gegangen, weil einfach nichts tun für mich als adhs-Mensch unerträglich wäre, aber auch ich habe gelernt auf meine Energie zu achten. Das ist ganz schön schwer, aber es lohnt sich.
Mehr dazu findet ihr auf dieser Seite der Charité unter Pacing:
Ich habe gelernt dass ich als Bauchatmer ziemlich ineffizient atme (es gibt da noch so nen Brustkorb durch den eins atmen kann!), vor allen Dingen wenn ich mich entspannen will. Im Dezember fing ich an mir Nachts den Mund zu tapen und fühlte mich schon nach der ersten Nacht deutlich erholter. Nach ein paar Wochen war auch das mit dem durchschlafen wieder gar kein Problem mehr. Dieses und viele andere nützliche Übungen rund um’s atmen gibt es in diesem englischsprachigen Video.
Außerdem hatte ich eine zeitlang Atemtherapie verschrieben bekommen und kann das nur empfehlen. Meine Lunge funktioniert aber zum Glück echt gut, deswegen mache ich das nicht mehr.
Hach, kalt duschen. Lindert Symptome und gibt Kraft und Energie. Ich bin davon so überzeugt, dass ich als adhs-Mensch seit Dezember durchgehend jeden Tag kalt duschen gehe, so gut tut mir das. Der Einstieg geht einfacher wenn ihr erstmal (lau-)warm duscht und dann auf kalt stellt. Die ersten paar Wochen war ich auch nur ganz kurz unter der kalten Dusche, aber eins gewöhnt sich da wirklich dran.
Drüben auf Facebook schwören einige in der guten Gruppe “Longcovid support for endurance athletes” drauf und es gibt zahlreiche Studien über den guten Effekt vom Kälteschock auf die Gesundheit. Die aktuellen Studienlage scheint allerdings ziemlich dünn zu sein.
Das war der größte von allen Gamechangern. Im Mai erzählte mir Eden von einer Fallstudie über einen ME/CFS Patienten, der ein Jahr lang unter dem VT1 trainiert hatte und signifikant seine Fitness ausbauen konnte ohne crashes zu erleben. Ich war fasziniert und musste es ausprobieren.
Konkret habe ich meinen Puls unter 120 zu halten während ich wieder auf meinem guten Fahrrad gefahren bin. Erst ganz wenige Kilometer und dann langsam mehr. Danach habe ich Pferdesalbe auf die Muskeln aufgetragen (super Zeug aus der Drogerie, kauft besser das Original und nicht die günstigeren Versionen) und mich ausgeruht. Ich hatte keine Crashes und merkte wie in wenigen Tagen meine Fitness und meine Erholung deutlich besser wurde.
Ein Wort noch zum Wohlgefühl. Gerade wenn ihr euch wieder mehr bewegen könnt, wird euch auffallen dass viele Beschwerden nicht einfach weg gehen. Ich glaube es ist fatal bei dem ersten Erkältungsgefühl alle Aktivität einzustellen und darauf zu warten, dass eins sich wieder besser fühlt. Ich weiß, dass Crashes gerne so anfangen, aber nicht jedes Erkältungsgefühl und jede schmerzende Muskeln ist auch ein Crash. Es braucht manchmal einen Glaubenssprung den Prozess zu vertrauen, ich kann euch nur ermutigen diesen zu wagen. Im Laufe der Monate sind viele Beschwerden verschwunden oder in den Hintergrund getreten.
Gerade für anaerobisches Training ist ein Pulsmesser fundamental wichtig. Ich bin dieses Jahr von einer Apple Watch auf ne Garmin umgestiegen weil sie bessere Leistungsüberwachung anbietet. Dabei sei angemerkt, dass die Uhr auch nur fundierte Vermutungen anstellt.
Ich hatte bei Enno aufgeschnappt das er es probiert hatte und es auch mal selbst ausprobiert. Er hat’s mit ärztlicher Begleitung gemacht, ich hab’s mir stumpf im Internet bestellt. Ihm hat’s nicht geholfen, mir hat’s mehr Energie gegeben. Mehr dazu in diesem guten Talk von Frau Dr. Scheibenbogen ab Minute 15.
Gerade als ich total am Boden war hatte ich das Gefühl, dass mir der Rundumschlag an der Vitaminfront geholfen hat. Ich nehme ein Produkt für Vegetarier, weil ich ja eh kein Fleisch esse :)
Der Ernährungsexperte vom Team EF erwähnte in meinem Lieblingsfahrradpodcast, dass er seinen Athleten nach nem Rennen immer ein Glas Sauerkirschsaft gibt weil das die Entzündüngsmarker so gut runter bringt. Ich hab also nen Monat lang oder so jeden Tag 1-2 Gläser davon getrunken und meine Beschwerden gingen echt zurück.
Bunt gemischtes Allerlei an Sachen die ich mal probiert habe oder von denen ich mal gehört habe.
Letztes Jahr hab ich an so ner Naturheilmittelstudie teilgenommen weil ich dachte, dass ich dann ja auch gleich ne Untersuchung bekäme (Ich bekam die Ergebnisse von meinen Untersuchungen nicht und die haben die auch nicht für mich ausgewertet). Ashwaganda wurde mit aufgelistet bei deren Material dass es beim schlaf helfen soll. Der Aufguss schmeckt wie Erde und viel geholfen hat er mir auch nicht.
Bekam ich von einer Bekannten empfohlen, dass es helfen soll. Hab auch nach ein paar Wochen keine Veränderung bemerkt und es wieder sein gelassen.
Eine Freundin von mir mit Longcovid schwört darauf nach Belastungen. Es gibt da auch Studien zu, ich finde aber den Link gerade nicht. Ich hab das bislang noch nicht weiter ausprobiert weil ich da auch negative Stimmen zu gelesen habe und Gamechanger + Helferlein mir schon richtig gut geholfen haben, da brauch ich nicht noch was neues auszuprobieren.
Microdosing von Psylocybin oder LSD sollen gut dabei helfen den Brainfog zu bekämpfen. Die spitzkegligen Kahlköpfe wachsen im Herbst auf jeder Kuhweide, sind aber leider trotzdem illegal. Wenn ihr euch dafür interessiert gibt’s hier nen englischen Podcast zu dem Thema.
Low Dose Naltrotexine soll sehr gut helfen. Ist aber verschreibungspflichtig und musste erstmal ne Ärztin finden die’s dir verschreibt. Mehr Infos dazu in dem schon oben verlinkten Talk von Frau Dr. Scheibenbogen.
Vielen Dank fürs lesen! Ich hoffe, dass dies hilfreich, informativ oder zumindest unterhaltend war.
Für Feedback, Anregungen und Kommentare könnt ihr mich gerne im Fediverse/Mastodon unter @acid@ohai.social anschreiben.