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@danieldiekmeier
Created April 14, 2014 21:19
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Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux, geboren als Pierre Carlet am 4. Februar 1688 in Paris, wächst in eher bescheidenen Verhältnissen auf. Zwar gehört die Familie seine Mutter Marie-Anne Bullet dem wohlhabenden Bürgertum an, zwar pflegen sein Onkel Pierre Bullet und sein Cousin Jean-Baptiste Bullet de Chamblain als die einflussreichsten Architekten ihrer Zeit Kontakt zu den höchsten Gesellschaftsschichten Frankreichs, sein Vater Nicolas Carlet aber entstammt, so wird vermutet, einer wenig begüterten Pariser Handwerkerfamilie und verdient den Lebensunterhalt für seine Familie zunächst als Verwalter eines Heereslagers in Deutschland, später als verbeamteter Inspektor bzw. Direktor des Münzwesens in Riom, dem Verwaltungszentrum der Auvergne. Dass Marivaux diesen gesellschaftlich eher mittelmäßigen Verhältnissen zu entkommen strebt und sich nach Höherem sehnt, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er später den adligen Namen seiner Verwandtschaft in den Namen integriert, unter dem er später bekannt werden sollte.
Marivaux wächst zunächst in Paris auf, er verbringt dort die ersten neun Jahre seines Lebens in Abwesenheit des Vaters, bis dieser 1698 seine Tätigkeit beim Heer aufgibt, die Inspektion der Münze übernimmt und mit seiner Familie nach Riom übersiedelt. Marivaux besucht hier die Schule, er erhält eine fundierte rhetorische Ausbildung und lernt die Werke der klassischen lateinischen Literatur kennen. 1710 nimmt Marivaux ein Jurastudium in Paris auf, verfolgt dieses aber nur mit mäßigem Interesse und Engagement. Sehr viel stärker interessieren ihn das Schreiben und die literarischen Zirkel und Salons der französischen Hauptstadt, in denen gerade eine zweite „Querelle des Anciens et des Modernes“, ein Streit um die Bedeutung der klassischen Literatur für die zeitgenössische, ausgetragen wird. 1712 wird sein erstes Stück Le Père prudent et équitable (eine Komödie in Versen) gedruckt, im gleichen Jahr stellt er auch seinen ersten Roman Pharsamon ou Les nouvelles Folies romanesques fertig, auf den in den nächsten Jahren in rascher Folge zahlreiche weitere Theaterstücke, Satiren, Romane und Artikel und Essays in Zeitungen und Zeitschriften folgen. 1717 heiratet Marivaux Colombe Bologne, eine wohlhabende Bürgerstochter aus der Normandie, deren stattliche Mitgift zunächst das materielle Auskommen der Eheleute sichert.
Als 1719, dem Jahr, in dem seine einzige Tochter geboren wird, sein Vater stirbt, bewirbt sich Marivaux als dessen Nachfolger, erhält den Posten des Münzdirektors aber nicht. 1721 verliert Marivaux einen Großteil seines Vermögens, weil er, wie so viele seiner Landsleute, in die Börsengeschäfte des Schotten Law investiert hat und nun dessen Fehlspekulationen zum Opfer fällt. Er nimmt daraufhin das Jurastudium wieder auf und schließt es erfolgreich ab.
Dennoch arbeitet er nicht als Jurist, sondern versucht als freier Autor und als Herausgeber der von ihm gegründeten Zeitschrift Le Spectateur français den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern. Er veröffentlicht die Romane Le Paysan parvenu (1735) und La Vie de Marianne (1742) und verfasst bis zu seinem Lebensende mehr als dreißig Komödien, darunter auch La Dispute (1744), für zwei verschiedene Theater, die sich in Publikum und Spielweise erheblich voneinander unterscheiden. Neun seiner Komödien werden von der Comédie Française aufgeführt, die für ihren pathetischen, traditionellen Stil bekannt ist, eine weitaus größere Zahl jedoch von der Comédie Italienne, die sich durch eine von der Commedia dell’arte beeinflusste Spielweise auszeichnet, die sehr viel lebendiger und gestenreicher ist als die der Comédie Française. 1743, zwanzig Jahre nach dem frühen Tod seiner Frau, wird Marivaux in die Académie Française aufgenommen, seine finanzielle Lage bleibt jedoch angespannt. 1744 zieht Marivaux in das Haus von Mademoiselle de Saint-Jean, er hält Vorträge in der Académie Française und verfasst weiterhin Essays und Komödien, nimmt aber nur selten am gesellschaftlichen Leben teil und lebt sehr zurückgezogen, bis er am 12. Februar 1763 nach langer Krankheit stirbt.
Marivaux’ Sprachstil wird früh mit einem eigenen Begriff belegt – dem der „marivaudage“, der zunächst neutral gemeint ist, sehr schnell aber die negative Bedeutung der künstlichen Spitzfindigkeit und des bemühten Sprachwitzes erhält, die sich bis heute erhalten hat. Die zeitgenössische Kritik verübelt Marivaux den Versuch, sich über die geltenden ästhetischen und literarischen Normen hinwegzusetzen, ein eigenständiges, unabhängiges Verständnis der Komödie und ihrer Komik zu entwickeln und sich in seinen Stücken bewusst von der „doctrine classique“ eines Molière zu unterscheiden, und bezeichnet seine Werke als handlungsarm, gekünstelt und zu offensichtlich um geistreichen Witz bemüht. Die Rezeptions- und Aufführungsgeschichte seiner Werke zeigt jedoch, dass das zeitgenössische Publikum Marivaux ganz anders beurteilt als die Kritik – seine Romane werden zu Publikumserfolgen und erscheinen schon zu seinen Lebzeiten in zahlreichen Neuauflagen, seine Komödien werden so häufig gespielt, dass er in der Zeit von 1720 bis 1750 zu einem der erfolgreichsten Bühnenautoren Frankreichs wird.
Im Mittelpunkt des Einakters steht die Frage, welches der beiden Geschlechter die Untreue in die Welt gebracht hat. Folgerichtig beginnt das Stück auch mit einem Streit zwischen einem Prinzen und Hermiane, seiner adligen Begleiterin, die darüber diskutieren, ob eher die Männer oder die Frauen zur Untreue neigen. Die Streitfrage lässt sich nicht klären, allein mit theoretischen Gedankenspielen kann sie nicht beantwortet werden – allein ein praktischer Versuch kann Aufklärung bringen. Wie gut, dass bereits 20 Jahre vorher dieselbe Streitfrage erörtert worden ist und der Vater des Prinzen deshalb ein Experiment vorbereitet und begonnen hat, dessen Ausgang nun live beobachtet werden kann. Der Prinz klärt die überraschte Hermiane auf, dass für diesen Versuch vier weißhäutige Kleinkinder, die Mädchen Eglé und Adine und die Jungen Azor und Mesrin, von ihren Eltern getrennt worden sind und seitdem unabhängig voneinander und jeweils völlig allein aufgezogen werden. Ihr einziger Kontakt zur Außenwelt besteht in den beiden Dienern Mesrou und Carise, die sich um ihre Erziehung kümmern. Aufgrund ihrer Hautfarbe können diese keinerlei Anziehungskraft auf die Kinder ausüben, sodass keine Gefahr besteht, dass die Kinder für den Versuch unbrauchbar werden. Jetzt, nach 20 Jahren, kann die Begegnung der inzwischen zu jungen Erwachsenen herangewachsenen Kinder stattfinden, um die Streitfrage endgültig zu
klären. In völliger Isolation aufgewachsen und daher unbeeinflusst von der Gesellschaft und ihren Verhaltensweisen befinden sich die vier in einem Zustand ursprünglicher, unverfälschter Naivität und Unschuld. In ihrem Aufeinandertreffen kann sich nun zeigen, ob es die Männer oder die Frauen sind, die als erste untreu werden.
Das erste Paar, das aufeinandertrifft, sind Eglé und Azor. Azor ist sofort begeistert von Eglés Schönheit und verliebt sich in sie, auch Eglé verliebt sich, weil sie es genießt, bewundert zu werden. Sie nehmen ihre Ähnlichkeit in der Hautfarbe und ihre Unterschiede im Geschlecht war, fühlen sich füreinander bestimmt und erfreuen sich an ihrer Zweisamkeit. Carise rät ihnen jedoch, sich für einige Zeit voneinander zu trennen, um das Zusammensein nicht zur monotonen Gewohnheit werden zu lassen, in der das Gefühl der Liebe und der gegenseitigen Anziehung unweigerlich verblassen muss. Obwohl Eglé und Azor von der Unbedingtheit und Ewigkeit ihrer Gefühle füreinander überzeugt sind, nagen erste Zweifel an ihnen. Sie willigen schließlich in die zeitweise Trennung ein - zu groß ist ihre Angst, dass Carise doch recht behalten könnte.
Kurz darauf begegnen sich Adine und Eglé. Anders als Azor ist Adine nicht von Eglés Schönheit angetan, ganz im Gegenteil, sie empfindet sich sogar als die Schönere und Bewunderungswürdigere, hat sie doch gerade erst die Bekanntschaft von Mesrin gemacht, der sich sofort in sie verliebt hat und sie für ihre Schönheit bewundert. Voller Wut versuchen die beiden Frauen unter Verweis auf die Äußerungen ihrer jeweiligen Liebhaber über die andere zu triumphieren, sie trennen sich schließlich im Streit.
Dann begegnen sich Azor und Mesrin. Sie untersuchen zunächst, ob sie einander ebenso anziehend finden wie die Frauen, stellen aber schnell fest, dass sie sich zu ähnlich sind und aneinander nichts begehrenswert finden. Auf dieser Basis können sie miteinander Freundschaft schließen.
In der Folge treffen sich Eglé und Mesrin, dann auch Adine und Azor. Und alle vier werden untreu und verlieben sich neu, keiner der vier bleibt dem ersten Partner treu – auch dann nicht, als sich alle vier gegenüberstehen. Carise und Mesrou decken den jungen Leuten schließlich auf, dass sie als Versuchsobjekte Teil eines Experiments gewesen sind und sich, anders als erwartet, alle als untreu erwiesen haben. In diesem Moment schreitet Hermiane ein, die dem Experiment nicht länger tatenlos zusehen kann. Sie ist entsetzt über das wankelmütige Verhalten der Frauen, bezichtigt aber den Prinzen, ein abgekartetes Spiel zu treiben und bewusst die schlechtesten und moralisch schwächsten Exemplare ihres Geschlechts für den Versuch ausgewählt zu haben. Als Deus ex Machina zaubert der Prinz daraufhin ein drittes Paar hervor, die junge Frau Dina und den jungen Mann Meslis, die ebenfalls allein und isoliert von der Außenwelt aufgezogen worden sind. Wie die anderen Paare sind auch sie sich gerade erst begegnet und haben sich ineinander verliebt, anders als die anderen widerstehen sie jedoch der Versuchung und halten sich die Treue. Dafür sollen sie belohnt werden – Hermiane und der Prinz wollen sich zukünftig um ihre Erziehung und Ausbildung kümmern. Die anderen jedoch werden wieder voneinander getrennt untergebracht und müssen in ihre Isolation zurückkehren. Oberflächlich betrachtet ist damit die anfängliche Streitfrage durch den Versuchsausgang beantwortet, zeigt es sich doch, dass beide Geschlechter Untreue in die Welt bringen. Unter der Oberfläche aber schwelt schon die nächste Streitfrage: Wessen Untreue ist moralisch verwerflicher?
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