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@eternalstorms
Created December 16, 2012 09:11
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Die Uhr (Johann Gabriel Seidl)
Die Uhr
Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir,
wieviel es geschlagen habe, genau seh ich an ihr.

Es ist ein großer Meister, der künstlich ihr Werk gefügt,
wenn gleich ihr Lauf nicht immer dem törichten Wunsche genügt.

Ich wollte, sie wäre rascher gegangen an manchem Tag,
ich wollte, sie hätte manchmal verzögert den raschen Schlag.

In meinem Leiden und Freuden, im Sturm und in der Ruh,
was immer geschah im Leben, sie pochte den Takt dazu.

Sie schlug am Sarge des Vaters, sie schlug an des Freundes Bahr!
Sie schlug am Morgen der Liebe, sie schlug am Traualtar.

Sie schlug an der Wiege des Kindes, sie schlägt, will's Gott, noch oft,
wenn bessere Tage kommen, wie meine Seel es hofft.

Und ward sie auch manchmal träger, und drohte zu stocken ihr Lauf,
so zog der Meister immer großmütig sie wieder auf.

Doch stände sie einmal stille, dann wär's um sie geschehn,
kein anderer, als der sie fügte, bringt die zerstörte zum Geh'n.

Dann müßt ich zum Meister wandern, der wohnt am Ende wohl weit,
wohl draußen, jenseits der Erde, wohl dort in der Ewigkeit.

Dann gäb ich sie ihm zurücke mit dankbar kindlichem Fleh'n:
"Sieh Herr, ich habe nichts verdorben, sie blieb von selber stehen."


Johann Gabriel Seidl
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