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@terrorobe
Created April 23, 2012 16:41
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Über Medien, Verwertungsmodelle und die Gratiskultur

Hallo Florian,

hier die Antwort zu deiner etwas provokant gestellten Frage:

Ich bin in der glücklichen Lage dass ich genug verfügbares Einkommen ("disposable Income") habe dass ich nicht mehr auf Geschenke angewiesen bin, das ist also nicht mein Kernmotivationsfaktor (obwohl das auch schon mal anders ausgesehen hat, zugegebenerweise).

Piraterie ist primär ein Verfügbarkeitsproblem, die Unmöglichkeit für Konsumenten Inhalte in einer für sie akzeptablen Form präsentiert zu bekommen [1].

Das mag jetzt im ersten Moment wie ein Affront gegenüber der Urheber wirken, ist aber etwas das man akzeptieren und schätzen muss, denn letztendlich sind (bei Zeitungen) die Leser und die einhergehenden Werbekunden die, die Miete bezahlen. Entwickeln sich die Konsumenten weiter, müssen sich die Angebote weiterentwickeln.

Bei den Zeitungen und Verlagen hat glücklicherweise das Umdenken schon eingesetzt, sie haben erkannt & akzeptiert dass sie keine Altpapierhändler sind sondern Inhalte verkaufen und für die Bereitstellung der Inhalte adäquat entlohnt werden müssen um dies auch wirtschaftlich & nachhaltig machen zu können. Ignoriert man die Veränderungen des Konsumverhaltens zu lange verliert man entweder sehr viel Geld (durch verpasste Verkäufe) oder Relevanz (Stell dir vor du bist eine Zeitung und zukünftige Lesergenerationen kennen dich nicht oder interessieren sich nicht für dich).

Beim Falter habt ihr die Kurve letztendlich gekratzt, das gute internationale Abo-Service hat die Expat-Community temporär zufriedengestellt (obschon es da sicher auch viele verpasste Verkäufe bei Leuten gegeben hat, die nur einzelne Ausgaben wollten), jetzt mit dem Austriakiosk und der Falter-App habt ihr sowohl die Apple-iPad-Gemeinde als auch die Leser auf anderen Plattformen zufriedengestellt (hab schon auf beiden Plattformen Ausgaben gelesen - beidemale Gratis weil Einstiegsangebot ;) )

Bei Film- und Musikinhalten sieht die ganze Diskussion leider etwas anders aus - die großen Verwertungsgesellschaften um die Kunstschaffenden herum führen in dem Bereich momentan einen Rückzugskrieg um die Pfründe die sie verstehen (Medienverkauf, ortsgebundene Vorführungen) mit aller Kraft zu verteidigen. In den Vereinigten Staaten sind sie schon etwas weiter - da gibt es für Filme und Serien Netflix, Hulu und gutes Angebot auf den Sender-Homepages für Eigenproduktionen. Bei Musik hat eigentlich Apple mit iTunes die Industrie ins 21. Jahrhundert geholt [2] und Angebote wie Vevo und Spotify [3] zeigen dass Werbe-unterstütztes "Gratis" anbieten von Inhalten auch gut skalieren kann. Dies funktioniert in den USA wohl relativ gut weil die Technologieunternehmen ("Silicon Valley") ein gutes Standing in der Nation haben und die Diskussionen um Verwertungsrechte auf Verträge mit den einzelnen Mediengruppen beschränken, und nicht (um einen Europavergleich zu schaffen) jeder Bundesstaat seine eigene Verwertungsgesellschaft hat.

In diesem Licht ist es geradezu erschreckend wenn in Deutschland die GEMA einen Grabenkrieg gegen Youtube führt (und VEVO in den USA schon erfolgreich ist [4]) anstatt zu überlegen wie Verwertungsabkommen strukturiert sein müssten dass es für alle Beteiligten zufriedenstellend ist anstatt auf dem alteingesessenen Status Quo ("Des hamma scho immer so gemacht und wegen diesen Internet-Oaschlöchern machma sicha ka Ausnahme!") zu beharren.

Momentan nehmen die Verwertungsgesellschaften (und im selben Atemzug die Künstler die sich für diese Einsetzen) in dieser Debatte die Rolle der Eismänner [5] ein die gegen die Kühlschrankindustrie rebellieren - es wird sich zeigen ob diese den Technologiewechsel überleben werden oder ob sie mit dem sterbenden Verwertungskanal untergehen werden.

Sollte es in Europa mal soweit sein dass es sinnvoll verfügbare digitale (und somit für Urheber sehr günstig verteilbare) Inhalte mit einer Verwertungsstruktur gibt (Abo, Einmalkäufe, Werbesupported, you name it) kann man auch Anfangen das zweite Standbein der Piraterie zu attackieren, die des Pricings [6]. Die Frage, wieviel mein Produkt einem Kunden wert ist bzw. wert zu sein hat ist etwas das heiß debattiert wird - sobald man digitale Verteilstrukturen hat kann man hier sehr schnell Experimente ("Messbar!") durchführen, dies ist etwas das in elektronischen Stores wie zB Apple iTunes & Appstore und Valve's Steam [7] schon heftig und erfolgreich praktiziert wird.

Dadurch dass sich der Deckungsbeitrag bei elektronisch verteilten Inhalten nahe bei 0, die verfügbare Stückzahl nahe bei unendlich und Lead times für Nachbestellungen und Zustellung nicht existent ist ändert sich die Frage von "Wieviel Gewinn mache ich pro verfügbarer Einheit?" auf "Wieviel Geld verliere ich durch verpasste Verkäufe?".

Und wenn das zu Abstrakt sein sollte, schau mal im Bekannten- und Kollegenkreis wieviel nicht korrekt lizensierte Microsoft Office, Windows und Adobe Photoshop Versionen du in den letzten 10 Jahren gesehen hast - und wieviel mehr Geld diese Unternehmen gemacht hätten wenn das Pricing für diese Produkte sich näher an dem finanziell möglichen Rahmen dieser Personen orientiert hätte.

Abschliessend sei gesagt - die Debatte um Verteilung und Verwertung von Inhalten im Digitalen Zeitalter wird von beiden Seiten mit ziemlich extremen Argumenten geführt, auf der einen Seite gibt's die alteingesessenen Player die das Internet am liebsten Abdrehen wollen und in Ermangelung dessen dann zu Vorratsdatenspeicherung, Abmahnindustrie und Netzsperren greifen. Auf der anderen Seite gibt's die Generation Internet, die findet dass das Urheberrecht total überholt ist und am besten abgeschafft gehört und die Urheber sich doch mal was neues einfallen lassen sollten.

Die Antwort ist irgendwo in der Mitte - ich würde mir wünschen dass sich Debatten auch dort abspielen würden anstatt dass beide Parteien die eigenen Standpunkte mit einem Bolzenschussgerät in den Fels zu rammen. Aus europäischer Sicht zahlt sich ein Blick über den Teich zu den USA aus - vieles was bei uns noch utopisch scheint funktioniert drüben schon besser, zumindest für Konsumenten und Contentverwerter dürfte es im digitalen Bereich deutlich besser funktionieren. Im Endeffekt geht es darum Urheber und Konsumenten glücklich zu machen, die existierenden Strukturen um Verwertungsgesellschaften sind momentan Symbionten aus einer vergangen Zeit die immer mehr zum schädlichen Parasit werden wenn sie sich nicht Anfangen neu auszurichten.

Michael Renner, CC BY 3.0

[1] Einige Artikel und Beiträge zu dem Thema:

[2] Bloomberg Game Changers: Steve Jobs

Bei Minute 35 - Interview mit Universal Music VP

[3] Wikipedia zu Vevo und Spotify

[4] Beispiel einer Vevo-Youtube-Seite:

Eindeutiges Theming/Branding, Möglichkeit neue Produktionen zu promoten, etc. pp.

[5] Wikipedia: Eismann

[6] SSRC: Piracy in emerging economies

[7] Hier zwei Artikel die sich mit Valve's Steam beschäftigen, zum Appstore von Apple gibts ähnliche Artikel

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