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@MasinAD
Created September 4, 2022 19:34
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Wissenschaftliche Magie-Systeme überwinden

Obwohl sie eine große Bandbreite unterschiedlicher Mechaniken verwenden, haben die meisten Fantasy-Rollenspiele (RPG, von role-playing games) eine sehr ähnliche Sicht auf Magie. Ich nenne diese Sicht "wissenschaftliche Magie". Das soll nicht heißten, dass diese Magie den wissenschaftlichen Gesetzen gehorcht, wie wir sie kennen. Vielmehr ist Magie ein reproduzierbares Phänomen, das gut zur modernen wissenschaftlichen Kultur und Sichtweise passt. Auch wenn wissenschaftliche Magie-Systeme ihre Berechtigung haben, finde ich doch, dass es auch Spiele mit nicht-wissenschaftlichen Magie-Systemen geben sollte … Magie, die die Bilder aus Mythen und Sagen zum Leben erweckt, wie auch Fantasy-Fiktion, die von Mythen und Sagen inspiriert ist, wie J.R.R. Tolkien oder Charles De Lint.

Verschiedene RPG-Systeme probieren sich an unterschiedlichen Mechaniken, um ihre Magie "magischer" wirken zu lassen. Ich habe aber das GEfühl, dass die meisten einfach wahllos ihre Regeln ändern. Das Problem fängt schon damit an, wie Magie gesehen wird, und liegt nicht in den Werten und Würfelproben, um sie umzusetzen.

Um ein nicht-wissenschaftliches System der Magie zu schaffen, muss man sich der grundlegenden Prinzipien bewusst werden, wie Magie wirkt. Als Designer solltest du bedenken, welche Bedeutung Magie in deiner Spielwelt einnimmt, bevor du dich auf Werte oder Würfelproben stürzt. Das typische Fantasy-RPG macht folgende Annahmen:

Keine dieser Annahmen ist notwendigerweise "falsch", noch müssen alle fünf Annahmen widerlegt werden, um einen nicht-wissenschaftlichen Eindruck zu erhalten. Wichtig ist –so sehe ich das–, diese Annahmen zu hinterfragen, bevor man sie in das Spieldesign übernimmt.


1. Magie ist ein bekanntes System und damit nicht-mysteriös

RPG-Magie-Systeme können grob in zwei Gruppen eingeteilt werden: "feste Zaubersprüche" und "Freiform". Zauberspruch-System sind oft stark mechanistisch, da die Wirkung der Zauber exakt definiert und erwartbar sind. Freiform-Mechaniken andererseits erfordern das Urteil einer Spielleitung (SL) zur Schwierigkeit eines Zaubers basierend auf wenig Informationen und einer Menge Zufall.

Keines davon jedoch ist "mysteriös". Ein Mysterium wäre es, wäre kein Muster offensichtlich – aber ein verborgenes Muster gäbe es dennoch. Damit ein Magie-System mysteriös wirkt, muss es verborgene Muster geben, die die Magie anwendenden Charaktere anfangs nicht kennen, aber mit Aufwand herausfinden können. In einem Spiel bedeutet es, dass es entweder unbekannte Variablen oder gar unbekannte Regeln gibt. Im Extrem hieße das, dass die SL das Magie-System im Geheimen entwirft und die Spieler*innen es nur stückchenweise entdecken können (d.h. vollständig geheime Regeln). Mysteriösität kann aber auch durch verborgene Variablen erzeugt werden, d.h. durch Faktoren, die die SL definiert, aber von den Spieler*innen nur durch andere Hinweise abgeleitet werden können.

Beispiel 1: In einem gegebenen Magie-System hängt die Chance auf Erfolg eines Zaubers von der Art der Geister ab, die den Ort heimsuchen, wo der Zauber gesprochen wurde. Es gibt keinen Zauber, der dieses Wissen einfach offenbaren würde. Die Magierin müsste dies aus anderen Hinweisen ableiten. Die Geister könnten den traditionellen Säften entsprechen: cholerisch, melancholisch, sanguin und phlegmatisch. Die Geister eines Ortes würden den Ort subtil gemäß ihrer Natur beeinflussen. Auf Basis der Beobachtung und der Geschichte eines Ortes, könnte die Magierin also plausible Mutmaßungen anstellen, welche Art von Geister den Ort heimsuchen.

Verborgene Variablen der Magie zu entdecken, sollte nicht der Fokus eines Abenteuers sein, sofern es nicht das Ziel der Kampagne ist. Sie sollten aber einen wichtigen Subplot darstellen oder mehrere. Sie müssen wie ein gutes Rätsel oder Mysterium aufgebaut sein: Genug Freiraum, um nicht geradlinig zu wirken, aber nicht zu viele Möglichkeiten, dass es einschüchtert.

Beispiel 2: In einem bestimmten Magie-System, weist die SL jedem magischen Spielercharakter (SC) im Verborgenen eine Reihe von Merkmalen zu. Einige mögen plumpe Effekte hervorrufen, aber es ist nie klar, welcher Charakter den Effekt hervorruft. Nur langsam werden die Spieler*innen herausfinden, welcher Natur die Magie ihrer Charaktere ist, was wiederum beeinflusst, welche weiteren Befähigungen damit einhergehen.

Man kann es leicht übertreiben damit, Magie mysteriös zu machen. Der wichtige Punkt ist nur, überhaupt in Betracht zu ziehen, Magie mysteriös zu gestalten, statt alle Variablen und Regeln offenzulegen.

2. Magie ist eine von der Natur eigenständige Erscheinung

RPGs neigen dazu, der Spielwelt die gleichen wissenschaftlichen Gesetze zugrundezulegen wie der unseren, nur mit Magie. Magie wird für alles benötigt, was anders als in der modernen Wissenschaft funktioniert – und umgekehrt wird nie Magie für etwas genutzt, was Wissenschaft erklären kann. Ein RPG-System simuliert zuallerst also eine nicht-magische Welt, und dann wird ein Satz Regeln angepfropft für Magie.

Der Ansatz macht es Spieler*innen vielleicht leichter, die Spielwelt zu verstehen. Sie nehmen ihre Alltagserfahrung einer Welt, die auf wissenschaftlichen Regeln basiert, und erweitern sie um ein paar Regeln für Magie. Das Konzept von Magie stammt aber aus einer vorwissenschaftlichen Zeit. Aus vorwissenschaftlicher Perspektive ist Magie nichts von der Natur Losgelöstes, sondern die Natur vieler Dinge ist Magie. Magie ist fundamental, um Regen zu erklären, das Schlagen deines Herzens und viele andere Dinge.

Beispielsweise definieren viele Magie-Systeme Zauber wie "Magie entdecken" oder "Anti-Magisches Feld". Wenn keine Magie entdeckt wird oder jedwede Magie durch ein Feld unterdrückt wird, funktionieren die Dinge "normal", also entsprechend moderner Wissenschaft. Die Vorstellung, dass ohne Magie die Dinge normal funktionierten, steht im Widerspruch zur vorwissenschaftlichen Perspektive. Ein Zauberer kann andere Zauber entdecken und aufheben, aber alle Magie aufzuheben, ergibt keinen Sinn.

Um dieser Annahme zu widersprechen, muss ein RPG die Idee eines selbständigen und selbstgenügsamen "Magie-Systems", welches unabhängig von allen anderen Regeln ist, aufgeben. Magie muss Teil des Regelsatzes sein, das wir üblicherweise als normales System betrachten. Das ist vielleicht schwer vorstellbar, weil die Annahme so tief verwurzelt ist. Einige weitere Beispiele:

Beispiel 1: In den meisten RPGs umfassen nicht-magische Heilfertigkeiten solche Dinge wie Verbände, Kräuterwickel und andere Sachen, die von moderner Wissenschaft erklärt werden. Das wird als komplett unabhängig von magischer Heilung betrachtet. Aus vorwissenschaftlicher Sicht macht diese Trennung keinen Sinn: Die meisten wissenschaftlichen Heiltechniken würden schlicht als magisch angesehen werden.

Beispiel 2: Die meisten Magie-Systeme erklären die Verzauberung eines Gegenstandes so, dass gewöhnliche, nicht-magische Gegenstände genommen und ihnen eine Eigenschaft "Magisch-keit" hinzugefügt werde. Ein Schwert könnte also Ergebnis herausragender Schmiedekunst aus bestem Stahl sein, aber es wäre nicht magisch. Aus vorwissenschaftlicher Perspektive wäre bereits die Herstellung des Stahls selbst ein magischer Vorgang. Die Härte des Metalls wäre Teil der Magisch-keit des Schwertes.

Allgemein betrachten RPG-Magie-System Magie als etwas Vergängliches. Die Effekte sind selten permanent oder auch nur langanhaltend. Und selbst wenn wären sie empfindlich gegenüber "Magie aufheben" oder ähnlichem. Das rührt meistens daher, dass Magie als etwas "Unnatürliches" angesehen wird. In einem wissenschaftlichen Magie-System erfordert es dauerhafte magische Anstrengungen, um zu verhindern, dass etwas in seinen natürlichen (wissenschaftlich begründeten) Zustand zurückfällt.

In Mythos und Fantasy gibt es die häufige Form der Magie, wo es um Erleuchtung einer Person oder die Vervollkommnung eines Gegenstandes geht. Historische Alchimie dreht sich nicht nur darum, Blei in Gold zu verwandeln, sondern auch darum, Unsterblichkeit oder Erleuchtung zu erlangen. Diese Art innerlicher Magie bleibt häufig in RPGs unberücksichtigt.

Beispiel 4: Viele RPGs behandeln "Mit Tieren sprechen" als eine Art von Zauberspruch. Eine Magierin spricht den Zauber, und für eine kurze Zeit erlaubt ihr der Zauber, mit Tieren zu sprechen. Währenddessen könnte der Zauber aufgehoben werden oder anderweitig verschwinden. In Mythen und Legenden, wenn jemand mit Tieren sprechen kann, dann können sie das. Es ist schlicht eine Fähigkeit, die sie besitzen. In RPGs könnte das einfach als normale und jederzeit einsetzbare Fähigkeit abgebildet werden.

Das heißt jetzt, dass dein Spielsystem nur für Magie von Grund auf neu erstellt werden muss. Aber einige Teil-Regeln könnten angepasst werden, um die Magisch-keit der Spielwelt besser darzustellen. Viele natürliche Phänomene werden üblicherweise zumindest zu einem Teil als magisch betrachtet. Stark magische Ereignisse beinhalten z.B. Sonnenfinsternisse und Geburten. Weniger magische Ereignisse wäre dann Wetter, Eisenbearbeitung, chemische Reaktionen und Krankheiten.

Eine Option, dies zu tun, wäre, Fertigkeiten umzudefinieren, um Magie Rechnung zu tragen. "Heilen" wäre eine magische Fertigkeit – auf niedrigen Stufen ähnelt sie eher weltlichen Heilfertigkeiten, während sie auf höheren Stufen ganz klar magisch wäre. Ein anderes Beispiel sind Schwerter, wo es nicht nur "normale Schwerter" und "magische Schwerter" gibt, sondern jedes Schwert hat eine ganz eigene Qualität, die sich in einem Bonus und speziellen Eigenschaften wie "gut ausbalanciert" oder "Trollbann" widerspiegelt. Ein äußerst fähiger Schmied –oder ein durch einen Magier unterstützter Schmied– könnte ein Schwert mit einem höheren Bonus erschaffen. Zaubersprüche könnten dem Schwert schaden und seine Qualität verringern, aber die Magisch-keit des Schwertes kann nicht unabhängig vom Schwert angegriffen werden.

Das Gegenteil wäre auch eine Option: Magie-Mechaniken zu benutzen für Tätigkeiten, die als weltlich betrachtet werden. Eine erwähnenswerte Ausnahme unter veröffentlichten RPGs ist Runequest, wo alle Krankheiten durch einen Seuchengeist verursacht werden, der das Opfer angreift. Dieser Seuchengeist kann genau wie andere Geister bekämpft werden. Auch "Charisma" kann auch als magischer Effekt angesehen werden. Vielleicht dient der Charisma-Wert einem Magier als magische Energie. Und je mehr Kraft er verliert, desto weniger charismatisch wird er.

3. Magie wird in Form von Zaubersprüchen vorsätzlich gewirkt

Ein übliches Fantasy-RPG-Magie-System besteht ausschließlich aus Regeln für die magischen Fertigkeiten der SC und ihrer möglichen Gegner. Wenn die Party also keine SC-Magier hat und keinen magisch begabten Gegner begegnet, können die Magie-Regeln komplett ignoriert werden. In Mythen und Sagen tritt Magie auch auf, wenn sie nicht vorsätzlich gewirkt wird. Es gibt magische Ereignisse wie Omen, Visionen, Schicksal, Glücksbringer und Wunder. Es gibt auch magische Ort und magische Zeiten. Und es gibt auch die Magie der Umstände. Zum Beispiel kehrt jemand, der unter bestimmten Umständen gestorben ist, als Geist zurück, um seinen Mörder heimzusuchen, und nicht, weil er die magische Fähigkeit "Geist" hatte, sondern schlicht wegen der Umstände seines Todes.

Dieser Annahme zu widersprechen, erfordert, Magie als mehr anzusehen als Zaubersprüche, die von SC und NSC gesprochen werden. Du kannst Magie in die Spielwelt hineinweben in Form von magischen Ereignissen, Zeiten, Orten und Dingen. Magie kann sich auch im Abenteuer-Design wiederfinden: Abenteuer in einer mythisch-magischen Welt sollten die magischen Grundlagen widerspiegeln, die am Werke sind.

Beispiel 2: Die SL beschließt, dass in einer Fantasy-Spielwelt mit zahlreichen Geistern die Geister eigene Effekte hervorbringen, als nur als Quelle für Magier*innen zu dienen. Eine Vielzahl allgemein-üblicher Rituale, die von jederfrau ausgeübt werden können, hat spielrelevante Effekte. So kann jedes Haus einem eigenen Hausgott geweiht sein, der in Form von kleinen Idolen vorzufinden ist. Solange der Hausgott besänftigt und zufrieden ist, gewährt er dem Haus seinen Schutz.

Beispiel 2: Die SL beschließt, dass in einem Renaissance-Spiel jedem Abenteuer die Tarot-Karten gelegt werden. Die SL kann die Karten zufällig legen, um ein Abenteuer zu gestalten, oder sie legt vorher bestimmte Karten nach eigener Wahl. Die gelegten Karten werden notiert und dienen dann als Faden durch das Abenteuer in Form von Omen und Weissagungen. Eine erfolgreiche Probe auf Tarot-Weissagung kann die gelegten Karten offenbaren.

Abhängig davon, welche Art von Magie du willst, kann sich Magie auf unterschiedliche Weisen manifestieren. Magische Zeiten können Tag-Nacht-Gleichen oder Sonnenwenden sein. Magische Orte Menhire, Gipfel oder heilige Haine. Magische Rituale Hochzeiten, Blutschwüre, Totenriten, Erwachsenwerden und Boden weihen.

Du kannst auch die Vorsätzlichkeit der Magie ändern. Viele RPGs setzen voraus, dass Magie eine Fähigkeit ist, die in Magiergilden oder anderen Organisationen erlernt wird. In Mythen jedoch ist der Magier häufig eine einsame Gestalt, deren Magie ein angeborenes Talent ist, was gleichermaßen Fluch wie Segen sein kann. Der Archetyp der Magier ist ein mysteriöser Eremit, der sich der Gesellschaft verschließt und von ihr ausgestoßen ist.

4. Magie unterliegt einem (Magie-)Energieerhaltungssatz

Die meisten RPG-Magie-System folgen der Idee, dass es eine Form magischer Energie ("Mana", "Vis", "Macht") gibt, die beim Sprechen von Zaubern verbraucht wird und sich nach einiger Zeit wieder auffüllt. Oft hängt die Spielbalance davon ab, da die Systeme den magischen SCs sehr mächtige Sprüche gewähren, ihre Nutzung aber nur wenige Anwendungen pro Tag limitieren. Die Mechanik behandelt das als Energie, die wissenschaftlichen Grundlagen gehorcht. Dies ist grundsätzlich anders als die magische Kraft in vorwissenschaftlichen Erzählungen.

Nicht wenige Spiele nutzen den Begriff "Mana" für ihre magische Energie. "Mana" ist ein ursprüngliche polynesischer Begriff für eine Form der Heiligkeit oder Göttlichkeit. Polynesisches Mana ist aber ganz anders als Erhaltungssätzen unterworfene Energie. Zum einen geht es nicht verloren, wenn es benutzt wird. Im Gegenteil, Erfolg ist ein Beweis für das Vorhandensein starken Manas. Stattdessen wird Mana bei einer Niederlage verloren, oder wenn ein Tabu gebrochen wird.

Diese Annahme zu überwinden verlangt, von der Idee, dass Zauber von endlicher magischer Energie gespeist werden, Abstand zu nehmen. Natürlich erfordert das auch das erneute Gewichten der magischen SC und welche Rollen sie in der Gruppe ausfüllen können. Magier können in mit weniger Fähigkeiten, längeren Spruchdauern, seltenen Paraphernalia und Ingredienzien, durch die Erfordernis von Konzentration, erhöhtem Risiko der Zauberei oder einfach durch geringere Mächtigkeit ihrer Zauber in ihrer Macht beschränkt werden

Beispiel 1: In D&D können Magier ab mittleren Stufen riesige explosive Feuerbälle mehrmals am Tag herbeizaubern. Diese Einschränkung zu entfernen, bräche das Gleichgewicht, aber auch nur, weil die Kampfzauber aufgrund dieser Einschränkung übermächtig gemacht wurden. Wären die Kampfzauber eher auf dem Niveau, dem geschickte Kämpfer fähig wären, brächten unbegrenzte Zauber keine Unwucht ins Spiel. Die Zaubersprüche wären womöglich subtiler oder könnten nur unter bestimmten Bedingungen eingesetzt werden.

Abseits der Spielbalance bleibt es das einfache Konzept, dass Energie nicht beschränkt sein muss. Das steckt so tief im wissenschaftlichen Denken, dass schon das vorsätzliche Brechen dieser Regel einen weniger wissenschaftlichen Eindruck vermitteln kann. Ein gutes Beispiel ist die Interaktion zwischen dem Metaphysischen und dem Physischen (s. nächster Abschnitt).

5. Magie funktioniert unabhängig von Moral, Ethik oder anderer nicht-greifbare Merkmale

RPG-Magie-Systeme neigen dazu, Magie eher physisch al metaphysisch darzustellen. Beispielsweise kann in Mythen ein Fluch nur durch "Wahre Liebe" oder einer Prüfung des "Reinen Herzens" aufgehoben werden. In RPGs sind es eher greifbare, weltliche Qualitäten wie Stufe oder Klasse des Charakters. Nachvollziehbar, denn es kann schwierig sein zu beurteilen, ob ein SC "Reinen Herzens" ist. Unglücklicherweise beraubt es die Magie eines essentiellen Merkmals.

Im Herzen mythischer Magie liegt die Idee, dass nicht-greifbare Dinge wie Moral oder Reinheit physische Auswirkungen haben können. Wenn du diese Atmosphäre erschaffen willst, solltest du dir zum Ziel setzen, solche Auswirkungen ins Spiel einzubauen. In vielen Mythen gehört das Bestehen einer moralischen Prüfung zur magischen Weiterentwicklung oder einer magischen Unternehmung dazu. Besteht der Charakter die Prüfung, erreicht er etwas anderes als bei einem Fehlschlag. Beide Resultate müssen jedoch zu etwas führen, wonach es dem Charakter auf die eine oder andere Weise verlangt. Der Schlüssel zu einer interessanten moralischen Prüfung liegt darin, dass es für beide Resultate Gründe gibt. Wenn der SC aufgefordert wird, seinem Glauben zu folgen oder eine Schachfigur des Bösen zu werden, ist der Test wertlos.

Beispiel 1: In einem Magiesystem, das ich leitete, hatten die magisch begabten Charakter die Möglichkeit, zu jeder Zeit eine Kraft zur begrenzten Gedankenkontrolle zu erlangen, und zwar was auch immer der Charakter sagte, hätte übernatürlichen Einfluss. Der Haken war, dass diese Kraft niemals abgestellt werden konnte. Der Charakter könnte nie wieder frei mit seinen Freunden reden, da die Kraft auch auf sie gewirkt hätte. Hätten andere von der Kraft erfahren, wären sie zu recht sehr misstrauisch. In einer sehr schwierigen Lage entschied ein SC, diese Kraft anzunehmen und nutzte sie auch wirkungsvoll, um ihren Freunden zu helfen. Im Anschluss bereite ihr das aber ganz schönes Kopfzerbrechen.

Üblicherweise vereinfachen RPGs moralische Fragen auf ziemlich strenge Codes oder das Dogma eines bestimmten Gottes. Ein Priester einer Gottheit mit greifbarer Macht verschwendet keinen Gedanken daran, sich an die Glaubenslehre zu halten, da er sonst seine Kräfte verliert. Damit es eine echte moralische Prüfung ist, muss es eine glaubhafte Versuchung geben.

Moralische Prüfungen sind vergleichsweise einfach, da sie nur zwei Ergebnisse erfordern (oder zumindest eine überschaubare Anzahl). Jede Wahl hat ein eigenes magisches Ergebnis. Andere Nicht-Greifbarkeiten sind schwieriger ins Spiel einzubinden: Wie soll die SL entscheiden, ob die Beziehung zwischen zwei Charakteren wirkliche "Wahre Liebe" ist? Trotzdem hat es große Auswirkungen auf das Gefühl der Magie, wenn sie eingebunden werden.

Beispiel 2: In einem Magie-System für eine bestimmte Kampagne hing die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Zauberspruchs davon ab, wie gut die Magierin das Ziel ihres Zauber kannte. D.h. einen Spruch auf einen Fremden zu wirken, war deutlich schwieriger als auf einen bekannten Feind oder einen Freund. Umgesetzt habe ich das, indem ich auf einer Skala von 1 bis 20 festlegte, wie vertraut die Magierin mit dem Ziel ihres Zaubers war. Das ging dann ein in eine Formel zusammen mit anderen Faktoren wie der Zauberfertigkeit usw. Ich folgte einer Faustregel, wonach Fertigkeitsproben dir erlaubten X Punkte mit der Zeit zu erlangen, aber Charakterhandlungen konnten das auch verändern. Ich musst zwar oft eigene Abschätzungen treffen, aber es war spielbar.

Welche Art nicht-greifbarer Qualitäten du ins Spiel einbaust, ist eine offene Frage. Denk nur daran, dass deine Wahl die Atmosphäre deiner Kampagne beeinflussen wird. Gibt es "Wahre Liebe", wird die Kampagne beispielsweise zur Romantik neigen.

Nicht vergessen solltest du, dass in mittelalterlicher und antiker Geschichte Magie eng mit Religion verbunden ist. So basierte beispielsweise die Ablehnung der Hexenkunst durch die christliche Kirche darauf, dass die Hexenkunst heidnischen Glauben darstellte. Alchimie und hermetische Magie hingegen fanden sich hingegen auch in der christlichen Theologie, währen die Kabbalah in Verbindung zum Judentum stand. Selbst wenn deine Magier keine Prietser sind, so muss Magie auch immer durch die religiöse Brille gesehen werden. Die Natur der Seele und ähnlicher Angelegenheiten sollte auch eine Rolle in der Magie spielen.


Schluss

Absicht dieses Artikels ist nicht zu sagen, was Magie sein soll. Falls dir eine der hier aufgezeigten Ideen gefällt, benutz sie ruhig. Aber nutz auch alle anderen Ideen, die dir in den Sinn kommen. Meine Hauptkritik existierender Magie-Systeme ist nur, dass sie sich zu sehr ähneln, sich gegenseitig imitieren, statt einmal Neues auszuprobieren.


John H. Kim <jhkim-at-darkshire-dot-net>

Last modified: Thu Apr 20 13:17:21 2006

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