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Transkription des Audio "Einführung in den Zen-Buddhismus" von Karlfried Graf Dürckheim. Manche Stellen sind abgeschnitten oder unverständlich, und die Syntax ist oft nicht eindeutig bestimmbar (z.B. wann ein neuer Satz beginnt, wann ein neuer Paragraph beginnt, etc.). Bei Fehlern bitte ein Kommentar schreiben, dann korrigiere ich es.

Karlfried Graf Dürckheim - Einführung in den Zen-Buddhismus

Auf meinen Reisen in Japan begegnete mir einmal ein christlicher Missionar, der tief im Lande seit 18 Jahren in einem kleinen Dorf tätig war. Er erzählte von den vielfältigen Schwierigkeiten seiner Arbeit, dass es aber doch dann und wann ganz echte Bekehrungen gäbe. Nur, sagte er, wenn es ans Sterben geht, dann sterben diese Menschen am Ende doch nicht christlich sondern japanisch. Auf meine Frage, was er darunter verstünde, gab er eine seltsame Antwort. Es ist bei diesen Japanern so, meinte er, als stellten sie, wenn sie in diese Welt kommen, nur einen Fuß herüber auf das Ufer dieses Lebens, und so, als verlören sie zeitlebens das Gefühl, im Grunde auf dem anderen Ufer beheimatet zu sein, nie aus den Gliedern. Sterben bedeutet dann nichts anderes, als den Fuß, den sie in dieses Leben gestellt haben, wieder zurückziehen, und dies geschieht dann ganz selbstverständlich, heiter und ohne jede Angst. Dies, meine Hörerinnen und Hörer, ist alt-östliches Lebensbewusstsein, aber, so müssen wir doch fragen, sollte das wirklich nur östliches Lebensbewusstsein sein können? Gewiss nicht. In dieser Einstellung zu Leben und Tod spricht viel mehr eine nicht unterbrochene Verbundenheit des Menschen mit deren allem was lebt [cut off] lebendigen Wirklichkeit des göttlichen Seins. In uns Menschen aber geht das Gefühl dieser Verbundenheit in dem Maße verloren, als unser Bewusstsein fortschreitend von der Ratio beherrscht wird. Wo wir die ursprüngliche Fühlung, mit dem in unserem Wesen anwesenden Sein verlieren, sind wir angewiesen auf das, was wir mit unseren fünf Sinnen erleben und mit unserem Verstande begreifen. Und alles, was darüber hinausgeht, halten wir für unwirklich oder verweisen es in den Bereich des Glaubens. Wenn aber dann auch das, was wir glauben, der rationalen Kritik zum Opfer fällt, dann sind wir abgeschnitten vom göttlichen Grund unseres Wesens. Der tiefsten Kräfte beraubt, die unserem Leben wirklich Halt, Sinn und Geborgenheit geben, sind wir zur Meisterung unseres Schicksals auf unsere rein menschlichen Kräfte verwiesen. Früher oder später geraten wir dann in die Angst. Aber eben die Not aus der Entfremdung vom Sein macht uns reif, ja zwingt uns einmal zur Suche nach der verlorengegangenen Fühlung mit den Kräften der Tiefe, und dann werden wir auch hellhörig für alle Stimmen, die uns eine Wiederverwurzelung im Sein verheißen. In dieser Lage auch befindet sich heute der westliche Mensch, und darum öffnet er sich auch wieder der östlichen Weisheit, diesofern sie wirklich Weisheit ist, ja nie etwas nur östliches ist, sondern etwas allgemein menschliches, um das der Osten sich nur tiefer gekümmert hat als wir. Und so auch wird der Mensch unserer Zeit hellhörig für die Stimme des Zen. Denn Zen zielt auf nichts anderes als auf die Befreiung des Menschen aus der Not der Entfremdung und auf seine Wiederverankerung im Sein.

Was also ist Zen? Ein berühmter Meister des Zen-Buddhismus, befragt nach dem Wesen des Zen, verweigerte zunächst jede Antwort. Er sagte, was Zen sei, entzöge sich doch jedem Begriff. So könne man über ihn auch nichts sagen. Doch weiter zum Sprechen genötigt, meinte er nur: eine Beschreibung dessen, was Zen ist, unterscheidet sich vom wirklichen Zen ebenso, wie eine Aussage darüber, wie es tut, wenn man seinen Finger in kochendes Wasser steckt, von der Erfahrung, die man macht, wenn man es wirklich tut. Was bedeutet diese Geschichte? Sie bedeutet, dass Zen keine Lehre verkündet, die man mit dem Verstande begreifen kann, sondern eine lebendige Erfahrung. Dieses, meine Hörerinnen und Hörer, ist das Erste, was man sich ständig vor Augen halten muss, wenn man sich um das Verständnis von Zen bemüht. Zen meint eine Erfahrung. Zen ist als Lehre, die Lehre von einer Erfahrung, als Praxis, Vorbereitung auf eine bestimmte Erfahrung, Ernstnehmen einer bestimmten Erfahrung, Übung in der Bewährung dieser Erfahrung. Doch worum geht es eigentlich in dieser Erfahrung, die Zen meint? Es geht um ein zentrales, den ganzen Menschen bewegendes und verwandelndes Erleben, um ein entscheidendes Ereignis auf dem Wege unseres inneren Werdens. Und Zen kann nur verstehen, wer dieses Erlebnis gehabt hat, oder doch mit seinem ganzen Wesen, sei es aus Not oder kraft innerer Verheißung von der heiligen Unruhe gepackt ist. Und das Ereignis, um das es sich handelt, ist nichts weniger als die Entdeckung des göttlichen Seins in uns. Der geheimnisvolle Glanz, der von der Kunde dieses Erlebnisses ausgeht, erklärt auch die große Anziehungskraft, die Zen heute ausübt. Warum also geht Zen uns Abendländer an? Meine Hörerinnen und Hörer, der westliche Mensch unserer Zeit, besonders der differenziertere, leidet immer tiefer darunter, dass er mit den eingespielten Formen seines Lebens und den festliegenden Ordnungen seines Denkens fast ausschließlich von der äußeren Welt her bestimmt wird, so sehr, dass der innere Mensch kaum noch zu Wort kommt. Die fortschreitende Beherrschung unseres geistigen Lebens durch die Ratio und die fortschreitende Einschränkung unserer menschlichen Kräfte auf ein Funktionieren in der Welt, treiben unser Innenleben, unser Gemüt, die Kräfte unserer Seele, immer mehr in eine Sackgasse hinein, in der Sinn und Segen des Lebens versiegen. Was Wunder, dass der Mensch sehensüchtig nach einem Ausweg sucht. Wenn ihn nun eine Äußerung aus der Welt des Zen erreicht, ist ihm als wittere er Freiheitsluft, als rief ihn etwas ihm selbst zu tiefst eigenes, Befreiung verheißend an. Zen verheißt Befreiung aus der Not der Verstelltheit unseres inneren Lebens und Wärens.

Wie aber, so müssen wir fragen, könnte etwas so entscheidendes für uns aus dem Osten kommen. Fließt denn die geheimnisvolle Quelle nicht auch bei uns? Gewiss, aber meist nur sehr im Verborgenen. Die Entwicklung des abendländischen Geistes, der immer mehr von einem nur sachlichen Erkennen und Meistern der Welt beherrscht ist, hat die nur in der inneren Erfahrung sich öffnende Wirklichkeit unserer wesenhaften Innerlichkeit weitgehend in den Schatten gedränkt und verschüttet. Im Osten blieb der Zugang zu ihr immer frei. Seit alters her übte der Osten die Kultur der inneren Erfahrung, hat sie in einem reich verzweigten System von Kanälen gefasst und die Quelle im Fließen gehalten, und unter allen Formen des Buddhismus ist es der Zen, der den Weg zu ihr am unmittelbarsten darstellt und weist. Alles, was Zen sieht, lehrt und übt, bezieht sich ganz unmittelbar auf das Finden oder Wiederfinden der göttlichen Kraft in uns. Sie wiederzufinden ist immer, das wissen wir auch, der entscheidende Wendepunkt alles innermenschlichen Werdens. Und um diesen Wende- und Angelpunkt unseres Daseins kreist Zen. So ist Zen in seinem Kern weder östlich noch westlich, weder japanisch noch deutsch, weder buddhistisch noch christlich, sondern etwas, das als Lehre und Praxis die jeden Menschen angeht, dem die eigentlich tragenden und sinngebenden Wurzeln unseres Lebens aus dem Bewusstsein gerieten, und der beherrscht ist von einem bloß rationalen Wirklichkeitsbegriff, und daher die Not der verstellten Innerlichkeit leidet. Zen meint den Durchbruch durch die Kruste, die uns von der Transzendenz trennt. Sein zentrales Anliegen ist die Neugeburt des Menschen aus der Erfahrung des Seins. Zen lehrt den Weg zu dieser Erfahrung, zu dieser Erfahrung, in der uns aufgeht, dass unser zwischen Leben und Tod, zwischen Geburt und Sterben, gespanntes menschliches Dasein in einem überweltlichen Sein wurzelt, lehrt uns, dass wir alle im verborgenen Grund unseres Wesens eben dieses Sein sind. Es ist in unserem rationalen Bewusstsein verborgen, aber eigentlich doch nur, auf das wir, und dies ist unsere menschliche Chance und Aufgabe, es im Gewinnen eines höheren Bewusstseins aufs Neue entdecken und kraft dieser Entdeckung in die Freiheit der Vollreife gelangen.

Wenn wir vom Wesen sprechen, von unserem tiefinneren Wesen, was meinen wir eigentlich damit? Wesen? Das klingt so abstrakt, und doch ist es gerade kein abstrakter Begriff. Das Wort Wesen meint, sowie auch Meister Eckhart es verstand, die uns zur Erfahrung aufgegebene innerste Wirklichkeit unseres menschlichen Seins. Genauer gesagt, das Wesen in uns meint die Weise, in der jeder von uns zu innerst Teil hat am göttlichen Sein, ja mehr noch, es meint die Weise, in der in jedem von uns dieses Sein danach drängt, offenbar zu werden in der Welt. So bedeutet Wesen auch keine statische, sondern eine dynamische Wirklichkeit, den göttlichen Élan vital in seiner individuellen Gestalt in uns. Die Entwicklung unseres menschlichen Bewusstseins führt aber dazu, dass wir dies dynamische, immer auf Verwandlung und schöpferisch auf neu zielende Wirklichkeit des uns innewohnendens [cut off] Bewusstsein allzu sehr am Feststehenden orientiert. Wir zielen auf feststehende Positionen in der Welt, auf festgefügte Ordnungen in unserem theoretischen und praktischen Dasein. Gewiss, ohne sie könnten wir Menschen in der Welt gar nicht leben, aber wo sie beginnen, unsere Leben zu beherrschen, ist die Fühlung mit dem lebendigen Sein unterbrochen, und unser Leben wird heillos. Eben deswegen kann die Wiederherstellung dieser Fühlung zum entscheidenden und alles neumachenden Ereignis unserer menschlichen Existenz werden. Denn wenn wir den Seinsgrund unseres Lebens, also das große Leben in uns, wieder spüren, sind wir erlöst von der Fessel, mit der unser kleines Ich uns an die Welt kettet. Und sind frei zu einem neuen Leben aus der Mitte des Seins. Und das Ereignis dieser Wiederentdeckung des Seins in uns steht im Zentrum des Zen. Es ist die große Erfahrung, das Satori, wie Zen es nennt, darin das uns ewig hervorbringende, immer zu verwandelnde, heimliebende und neugebärende große Leben, dass wir selber im Wesen auch sind, erschütternd, erlösend und verpflichtend in unser Bewusstsein tritt. Dieses Satori ist allen zugedacht, die ganz gleich zu welcher Rasse oder Religion sie gehören, kraft ihrer ursprünglichen Stufe oder aus innerer Not reif sind, es zu erfahren. Satori geht alle an, die Ohren haben zu hören, vor allem dem Menschen, der wirklich darunter leidet, dass er die Verbindung zu seinem Wesen verlor. Wer wohlangepasst, an der Oberfläche dieses Lebens dahin lebt, hat, auch wenn er sich theoretisch für Zen interessiert, überhaupt keinen Zugang zu ihm, aber auch wer kraft eines wirklich lebendigen Glaubens sich in der Fühlung mit Gott weiß, bedarf nicht des Zen. Wer wirklich Christ ist, braucht keinen Zen, denn er hat das, was Zen meint, in seinem lebendigen Glauben mit drin. Wer aber der ursprünglichen und unbewussten Verwobenheit mit der Wurzelschicht unseres Lebens entwuchs, oder seinen Glauben verlor, etwa, weil das, was er erlebte, seiner Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes widersprach, wer in seinem Glauben scheitert, weil er ihn auf Beweise und Argumente gegründet hatte, kann ihn nur wiederfinden über die innere Erfahrung seiner Religio, das heißt, über die Erfahrung, seiner Rückbindung an das Göttliche Sein. Christentum ist gewiss etwas völlig anderes als Buddhismus, aber wie es für das Wachsen und Reifen im Leibe, allgemein menschliche Voraussetzungen des Klimas und der Nahrungsaufnahme gibt, so auch für das Zunehmen und Reifen im Geiste. Und so gibt es eben allgemein menschliche, innere Voraussetzungen dafür, dass das verborgene Tor für das Innewerden und Walten der immer unbegreiflich bleibenden Wirklichkeit des Göttlichen in uns aufgeht. Und diese allgemein menschlichen Voraussetzungen, echter Einkehr, Umkehr und Wandlung meint Zen. So ist Zen eine Antwort auf eine existenzielle Not desjenigen Menschen, der sich in seinem Weltich verlor, und nun leidvoll die Fesseln zu fühlen bekommt, die ihn an das Raumzeitliche ketten.

Was bedeutet nun und was bringt uns der Durchbruch zum Sein, den Zen meint? Hierzu eine kleine Geschichte: Über meinem Schreibtisch in Tokio hing immer ein Bild von Caspar David Friedrich, eine seiner großen böhmischen Landschaften. Einst stand ein alter Japaner davor, tief ergriffen und sagte dann plötzlich: "Der war doch durch!". "Was meinen Sie mit 'durch'?" fragte ich. Ohne Zögern kam seine Antwort: "Hatte er denn noch Angst vor dem Tod? Sah er nicht den Sinn auch im Unsinn der Welt? Und stand er nicht im Zeichen der universellen Liebe?". Dies also sind die drei Zeichen dafür, dass einer 'durch' ist. Die Erfahrung eines Lebens, das jenseits von Leben und Tod ist, die Erfahrung eines Sinnes, der jenseits ist vom Unsinn und Sinn dieser Welt, und die Erfahrung einer fraglosen Verbundenheit, die jenseits von Sympathie oder Antipathie, [cut off] die drei königlichen Zeichen des Weisen, unerschütterliche Gelassenheit, Heiterkeit und Güte. Dies alles, unabhängig von allen Bedingungen der Welt als Ausdruck und Folge einer überweltlichen Erfahrung, in der Mensch das Sein in ihm selbst, das heißt, sein unbedingtes wahres Wesen geschmeckt und sein Selbst- und Lebensbewusstsein in ihm verankert hat. Der Buddhismus nennt dieses Wesen den 'Buddha in uns' oder die 'Buddha-Natur'. Ein altes Zengedicht lautet: "Die Menschen sind in ihrem tiefsten Wesen Buddha, wie Wasser Eis ist, und wie es kein Eis gibt ohne Wasser, so gibt es ohne Buddha nicht einen Menschen. Wehe den Menschen, die ihn weiter ferne suchen, und was nah liegt, nicht wissen, sie gleichen denen, die mitten im Wasser stehen und doch nach dem Wasser schreien.". Ich kannte dieses Gedicht noch nicht, als ich einstmals den Altmeister des Zen Daisetsu Suzuki fragte: "Ist der Mensch also nicht wie ein Fisch, der nach dem Wasser sucht?". Worauf Suzuki mir antwortete: "Dieses Bild ist gewiss gut, und doch, es ist noch mehr. Es ist das Wasser, das nach dem Wasser sucht.". Das heißt, wir sind im Grunde das, was wir suchen, und weil wir es selbst sind, können wir es auch einmal erfahren, und um diese Erfahrung geht es im Zen. Es ist die Erfahrung des Lichtes in uns, das uns, wenn es durchbricht, in der Erleuchtung verwandelt. Es ist das Erwachen aus dem Wahn unseres gegenständlichen Bewusstseins, die Befreiung aus dem Bann unseres gegensätzlichen Denkens, so ist es zugleich die Gewinnung eines höheren Bewusstseins. Es ist also keineswegs, wie der Westen oft denkt, eine Aufhebung jeglichen Bewusstseins, sondern das Gewinnen eines tieferen Lebensbewusstseins, eines Bewusstseins andere, höherer Art. Hier aber liegt die große Schwierigkeit, für den auf sein rationales Bewusstsein eingeschworenen westlichen Menschen, dieses andere Bewusstsein überhaupt zuzulassen und ernst zu nehmen. Als ich einmal Suzuki nach dem Unterschied zwischen dem westlichen und dem fernöstlichen Geist fragte, meinte er: "Westliches Wissen blickt nach außen, östliche Weißheit schaut nach innen.". Doch dann fügte er den entscheidenden Satz hinzu: "Wenn man aber nach innen schaut, wie man nach außen blickt, verwandelt man auch das Innen in ein Außen.". Er meinte damit, man verwandelt es und verfälscht es in einen Gegenstand, in ein Stück Welt, und so auch meint das neue Bewusstsein kein gegenständliches Haben, sondern ein Innesein. Dieses Bewusstsein bekundet sich nicht in der Konzentration auf etwas, sondern lebt in der echten Meditation, bewährt sich also nicht in einem abständigen gegenständlichen Erkennen der Welt, sondern in einem inständlichen Spüren und Bezeugen des Wesens. Wie sollen wir westliche Menschen verstehen, was mit der großen Erfahrung gemeint ist, in der dieses neue Lebens- und Selbstbewusstsein aufgeht? Wir können es nur verstehen, wenn wir gewisse Augenblicke unseres eigenen Daseins ernst nehmen. Augenblicke, an die wir uns wie an Sternstunden unseres Lebens erinnern. Was sind solche Sternstunden unseres Lebens? Es sind Stunden, in denen uns ganz unerwartet ein Tieferes anrüht und uns mit einem Male in eine andere Wirklichkeit hineinstellt. Dies kann uns widerfahren im Dunkel einer Not, uns treffen wie ein Licht, das mit einem Schlage alles verwandelt. Es kann auch zu uns kommen auf dem Gipfel eines irdischen Glücks, wenn mit einem Male alles einen überirdischen Glanz hat. Es kann uns geschehen, wo immer wir an der Grenze unserer Macht, unserer Weisheit, unseres seelischen Belastungsvermögens zerbrechen, wenn wir nur dieses Zerbrechen anzunehmen vermögen, und dann ernst nehmen können, was im Eingehen und Zusammenbrechen des Alten als ein Neues in uns aufbricht. Dies kann geschehen in Stunden drohender Vernichtung, wenn wir den Tod annehmen, wo dann plötzlich die Angst weicht, und wir ein neues, unbekanntes Leben in uns spüren, kraft dessen wir uns in ganz unbegreiflicherweise, unzerstörbar und geladen von einer überweltlichen Kraft fühlen. Es kann geschehen, in Augenblicken der Verzweiflung am Wiedersinn dieser Welt oder im Eingeständnis eigener Schuld, wenn wir das Unannehmbare annehmen, wenn wir aushalten, was nicht auszuhalten ist, dann können wir plötzlich ein inneres Licht erfahren, das uns in einen Zustand der Klarheit setzt, der nichts mehr zu tun hat, mit einem verständlichen Klarsein über etwas, sondern alle begründbare Klarheit übergreift. Es kann auch geschehen, wo der Mensch ein Verlassensein in der Welt, eine Ungeborgenheit, in der man als Mensch nicht leben kann, annimmt. Gerade im Hinnehmen, dieser uns in Isolierung und Einsamkeit werfenden Verlassenheit, kann er es einmal erfahren, wie ihn dann ein tieferes Aufgehobensein umfängt. Er macht die uralte Erfahrung der Einheit aller Wesen im Sein, an der man selbst teil hat. Diese unbegreiflichen Erlebnisse, dies ganz plötzliche, völlig unbegründete Stehen in der Kraft, in der Klarheit und in der Liebe, ist der Ausdruck des offenbar werenden Geheimnisses des in uns anwesenden Seins. Viel mehr Menschen als wir es ahnen, haben in den Schrecken des Schlachtfeldes, der Bombennächte, der Gefängnis und Lager, in ihren dunkelsten Zeiten also, die Begegnung mit der Gotteskraft in uns erfahren, die sie in den schwersten aller Stunden völlig unerwartet ins Licht stellte. Und dies ist der verborgene Schatz in der heutigen Menschheit, die Erfahrung jedes ganz anderen, das uns befähigt, durchzustehen, was alle nur menschliche Kraft übersteigt. Viel mehr Menschen, als wir es ahnen, haben die Kraft erfahren, die in Stunden, in denen Vernichtung droht, aufgeht, wenn man nur demütig sterben und Tod annimmt, wenn man nur das Unbegreifliche zulässt. Viele haben die Geborgenheit gespürt, in die Verlassenheit umschlägt, wenn man sie aushält. Aber wie wenige wissen, was ihnen da wirklich geschieht. Wer auch bereitet den Menschen des Westens auf solche Erfahrungen vor. So nimmt er sie nicht ernst, und geht an ihnen vorüber, achtlos. Und hier kann der Osten uns helfen. Der Osten, der von jeher die existenzielle Wahrheit der inständlichen Erfahrung von der sachlichen Richtigkeit gegenständlicher Welterkenntnis zu unterscheiden gewusst hat. Er kann uns helfen, unsere tiefsten Erfahrungen ernst zu nehmen, als Bekundungen unserer eigentlichen Wirklichkeit, der Wirklichkeit unseres Wesens im Sein. Zu diesen Erfahrungen führt Zen hin, und auf ihnen baut er auch auf.

Und was ist dann, wo Zen wirklich lebt? Lassen Sie mich hierzu eine Stelle aus meinem Buch "Zen und wir" wiedergeben: "Von außen ist oft wenig zu sehen. Der Mensch, dem das innere Auge aufging, lebt wieder sein gewöhnliches Leben in Raum und Zeit, aber in Raum und Zeit ist das Überraumzeitliche drin, als Weltich gespannt zwischen Vergangenheit und Zukunft, lebt der zum Sein erwachte aus dem Wesen und dem ewigen Nun. Er leidet wieder gewöhnliche Mensch, aber irgendwo leidet er doch, als litte er nicht, und in allem Leiden an der Welt verlässt ihn die Freude nicht, die aus dem Wesensgrund kommt.". Was ist also wo Zen ist? Vielleicht ein Lachen, ein unbändiges Lachen, das zum Zerspringen bringt, was eben noch hielt, vielleicht ein Zorn, der ganz unmittelbar ichlos hervorbricht. Jede Gebärde so selbstverständlich und frei wie der Flug eines Vogels, der sich spielend emporschwingt. Jedes tun, rasch und genau, nur was Not tut, sonst nichts. Wasser holen, wenn es brennt und nichts als das. Essen, wenn man ist, schreiben, wenn man schreibt, und nichts als das. Alles hellwach, aus der Mitte heraus, ohne ein Hauch zwischen Denken und Tun. Uunbehindert und leicht wie ein Flügelschlag, zielsicher wie ein Pfeil, unbeschwert wie ein Tanzschritt, präzise wie ein Meißelschlag, lösend wie ein Frühlingswind und immer durchsättigt von Liebe. Kein Haften, kein Haften, an was es auch sei. Im Innersten still, auch mitten im Lärm. Jeder Augenblick, frisch wie der Tau, tief wie ein Brunnen, in den die Sterne sich spiegeln mit der ganzen Ewigkeit drin. Mitschwingen mit allem Leiden der Welt und fraglose Hingabe auf dem Platz, auf den man gestellt ist. Schonungslos gegen sich selbst. Und in allem die kraftvolle Gelassenheit, die ein Sterben gelehrt hat. Die heitere Klarheit im Fühlen des Sinnes, der auch den Unsinn mit einschließt. Die glückhafte Geborgenheit in aller Verlassenheit dieser Welt. In einem Wort: die Präsenz aus dem Sein, dem göttlichen Sein. Erfahren und gesichert in einer Verfassung in der wir offen sind für das Sein und fähig, es in der Welt zu bezeugen. Ein altes Gedicht sagt: "Gehen ist Zen, sitzen ist auch Zen. Rede ich, schweige ich, ruhe ich, eile ich. Dem Wesen nach ist alles, das Unbewegte, das unbeweg bewegende göttliche Sein.". Das, meine Hörerinnen und Hörer, ist die Lehre des Zen, aber seinem Wesen nach ist Zen eben keine Lehre, sondern eine Praxis, ist kein theoretischer Existenzialismus, sondern existentielle Praxis, ist der Weg, der zur großen Erfahrung hin und von ihr zu einem verwandelten Leben führt. Nur wer die Verwandlung will, findet den Weg. Nur wer den Weg geht, findet die Verwandlung. Der Weg aber ist die Übung, das exercitium ad integrum. Von dieser Praxis habe ich heute noch nichts gesagt. Von ihr soll in einem zweiten Vortrag die Rede sein.

Meine Hörerinnen und Hörer, wenn wir uns fragen, warum der Sinn, diese vielleicht edelste Blüte am viel verzweigten Baum des Buddhismus in immer wachsende Maße die Aufmerksamkeit des Abendländers erweckt, so lautet die Antwort ganz einfach wie folgt: Zen verspricht die Wende aus einer Not, in die der Mensch gerät, wenn er nicht nur draußen in der Welt, sondern auch innerlich so sehr das Opfer seines rationalen Geistes wird, dass das Leben, das Leben als beglückende, erlösende und schöpferische Fülle und Kraft, nicht mehr gespürt wird. Weil nun gerade diese Not den westlichen Menschen unserer Tage bis an die Grenze der Verödung treibt, ist das, was Zen zu geben vermag, heute für uns von solcher Bedeutung. Denn worum geht es im Zen? Es geht um den in unserem Wesen verborgenen Schatz, den wir heben müssen, wenn wir in allem äußeren Reichtum nicht innerlich immer ärmer werden wollen. Es geht um unsere innere Freiheit, die wir gewinnen müssen, wenn wir nicht in aller äußeren Freiheit in der Gefangenschaft eines Geistes verkümmern wollen, der uns das wahre Leben verstellt. Es geht um das Wiederfinden des uns von innen tragenden Bodens, wenn wir nicht bei aller äußeren Gesichertheit in der Bodenlosigkeit und Brüchigkeit unserer inneren Existenz untergehen wollen. Gewiss, das, was Zen uns lehrt, ist nicht nur im Zen zu finden. Seit Urzeiten bildet es den Kern aller lebendigen Religion [cut off] scheint so zu sein, dass heute die Führungsweisheit des Zen dazu bestimmt ist, uns Abendländern das Urwissen um Wesen und Weg des Menschen neu zu erschließen. Was ist das Wesen in jedem von uns? Es ist die Weise, in der wir, jeder in seiner Weise, teilhaben am göttlichen am überweltlichen Sein. Alle geistige Not des Menschen ist letztlich darauf zurückzuführen, dass er die Fühlung mit dieser Teilhabe verlor. Darum kann auch die Befreiung von seiner Not in nichts anderem bestehen als in der Wiederentdeckung seines seinshaltigen Wesens. Eben dieser Durchbruch zum Wesen, das Wiedererwachen zum Wesen in uns, und die Neugeburt des Menschen zu einem Leben aus seinem Wesen, ist das Grundanliegen des Zen. Die große Erfahrung, Satori, wie Zen sie nennt, darin der Mensch zu seinem Wesen erwacht, ist der Angelpunkt, um den Zen in seiner Lehre und in seinen Übungen kreist. Der Sinn der Übungspraxis des Zen, von der heute die Rede sein soll, ist, den Menschen in diesen Wendepunkt seines Wehrens hineinzutreiben, also aufzulösen oder einzureißen, was in ihm dem Wesen im Weg steht, durchzubrechen zur Erfahrung des Wesens, und eine Verwandlung des Menschen herbeizuführen, in der er offen bleibt für die in seinem Wesen lebendige Fülle des Seins und fähig es mitten im Alltag in der Welt zu bezeugen.

Wie sieht diese Praxis nun aus? Sie entfaltet sich auf vielen Wegen. Ich gebe ihn ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung. Es war an einem heißen Sommertag in Tokio, und erwartete Meister Kenran Umeji, mein Lehrer im Bogenschießen. Einige Wochen hatte ich für mich allein geübt und freute mich darauf, dem Meister zu zeigen, dass ich meine Lektion gelernt hatte. Ich war gespannt, welche Überraschung die heutige Stunde bringen würde, denn jedes mal hatte es, wenn der Meister kam, eine Überraschung gegeben. Der Meister erschien zur verabredeten Stunde, ein kurzes Gespräch bei einer Tasse Tee, und dann ging es in den Garten, wo die Scheibe stand. Mit dieser Scheibe war die erste Überraschung verknüpft gewesen, die ich gleich zu Beginn mit dem Bogenschießen erfahren hatte. Es war ein Strohbündel von etwa 80cm Durchmesser, in Augenhöhe auf ein Holzgestell gelegt. Und man kann sich vorstellen, dass ich nicht wenig verwundert war, als ich hörte, dass der Schüler im Bogenschießen erst einmal drei Jahre an dieser Scheibe zu üben hat und zwar auf eine Entfernung von 3m. 3 Jahre, auf 3m Entfernung, auf ein Strohbündel von 80 cm Durchmesser schießen. Wird das nicht langweilig? Nein, im Gegenteil. Es wird, je mehr man in den Sinn der Übung eindringt, von Tag zu Tag aufregender, denn es kommt eben gar nicht aufs Treffen an, sondern nun, das sollte ich heute wieder einmal erfahren, ich trete also an, der Meister steht vor mir, ich verbeuge mich, wie es die Sitte gebietet, erst von dem Meister, dann mit einer Linkswendung vor der Scheibe, nehme wieder Front zum Meister hin und vollziehe ruhig die ersten Bewegungen. In gelassenem Fluss muss eine Bewegung aus der anderen hervorgehen. Ich stelle den Bogen aufs linke Knie, nehme den einen der beiden gegen das rechte Bein gelehnten Pfeile auf, lege ihn auf die Sehne. Die linke Hand hält ihn zugleich mit dem Bogen fest. Und dann geht die rechte langsam in die Höhe um, während der Atem voll ausfließt, wieder niederzukommen. Die Hand greift in die Sehne und dann wird langsam einatmend endlich im Heben der Bogen allmählich gespannt. Das ist die entscheidende Bewegung, die so still und stetig geschehen muss, wie der Mond, der am abendlichen Himmel aufsteigt. Noch habe ich nicht die volle Höhe erreicht, dadurch fährt mich die Orgelstimme des Meisters: Halt! Erstaunt und etwas unmutig über diese Unterbrechung im Augenblick höchster Sammlung lasse ich den Bogen herab. Der Meister nimmt ihn mir aus der Hand, schlägt die Sehne einmal um die Bogenspitze herum und reicht in mir lächelnd zurück. Bitte noch mal. Ahnungslos beginne ich aufs Neue. Die gleiche Bewegungsfolge läuft ab, doch als es zum Spannen kommt, ist meine Kunst schnell am Ende. Der Bogen hatte die doppelte Spannung erhalten, und meine Kraft reicht nun nicht mehr aus. Die Arme beginnen zu zittern, ich schwanke ohne Halt hin und her, die mühsam gewonnene Form ist zerschlagen. Der Meister aber fängt an zu lachen. Ich mag wohl recht ärgerlich dreingeschaut haben, denn der Meister fragt mich, "worüber sind Sie denn böse?". "Worüber? Sie fragen mich noch? Wochenlang habe ich geübt, und in dem Augenblick, indem es darauf ankommt, unterbrechen Sie mich, noch ehe ich geschossen.". Der Meister lacht noch einmal hell auf, dann wird er ernst und sagt etwa dieses: "Was wollen Sie eigentlich? Dass Sie die Form erreicht hatten, die zu erringen ihre Aufgabe war, erkannte ich schon an der Weise, wie Sie den Bogen ergriffen. Aber so ist das: wenn der Mensch eine Form seiner Selbst, seines Lebens oder seines Werkes erreicht hat, um die er sich vielleicht lange bemühte, dann kann ihm nur ein Unglück geschehen, das ihm das Schicksal erlaubt, im Erreichten stehen zu bleiben. Will das Schicksal ihm wohl, dann schlägt es ihm das Gewordene, ehe es sich setzt und verhärtet wieder aus der Hand. Dieses in der Übung zu tun ist Sache des wissenden Lehrers, denn worauf kommt es denn an, doch nicht aufs Treffen. Beim Bogenschießen, so wenig wie beim Erlehren irgendeiner anderen Kunst geht es letzten endes um das, was herauskommt, sondern um das, was hereinkommt, herein, das heißt in den Menschen herein. Auch das sich üben im Dienst an einer äußeren Leistung dient über sie hinaus dem Werden des inneren Menschen. Und was gefährdet dies innere Werden des Menschen vor allem? Das Stehen bleiben im Gewordenen. Im Zunehmen bleiben muss der Mensch, im Zunehmen bleiben ohne Ende.". Die Stimme des Meisters war ernst und eindringlich geworden. Und in der Tat, dies Bogenschießen ist etwas ganz anderes als ein vergnüglicher Sport, indem man miteinander im Treffen wetteifert. Es ist eine Lebensschule oder um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, eine existenzielle Praxis. Soweit dieses Beispiel aus meiner Erfahrung: Was lehrt es uns? Es lehrt uns eine Kunst, statt nur um der sichtbaren äußeren Leistung willen im Dienst des inneren Weges auszuüben. Seit dem 13. Jahrhundert wurden in Japan, sowie das Bogenschießen auch das Schwertfechten und Speerstoßen in den Dienst des inneren Werkes gestellt, also nicht nur zum Zwecke der Vernichtung des äußeren Feindes geübt, sondern unter der strengen Anleitung von Meistern des Zen, zur Vernichtung des Feindes in uns gelehrt, der unser inneres Wesen blockiert. Wer ist der Feind in uns? Es ist jenes Ich, das mit seiner einseitigen Bezogenheit auf sein Glück, seine Stellung und seine Sicherheit in der Welt, den inneren Weg, das heißt das Offenbarwerden des Wesens und die Selbstverwirklichung verstellt. So wie das Bogenschießen werden in Japan bis heute auch andere Künste, so dass Schreiben und das Malen, das Singen und Tanzen, die Teezeremonie und das Blumenstecken und anderes mehr, im Dienste der Überwindung des nur auf seine Selbstbehauptung gerichteten Ichs, und also im Dienste der Befrei [cut off] des inneren Werdens zu stellen, ist gerade für den westlichen Menschen, der den Weg zur Befreiung seines wahren Selbstes sucht, voll besonderer Anziehungskraft. Denn er ist nun einmal mehr, auf das Handeln und auf das Werk in der Welt gestellt als der östliche Mensch. Aber eben das Eingestelltsein auf Leistung in der Welt steht, so scheint es, dem inneren Werden im Weg. Die Pflege der Innerlichkeit und das Werk in der Welt scheinen uns oft unvereinbare Gegensätze zu sein. In diesem Dilemma zeigt uns Zen nun einen Weg, der diesen Gegensatz dadurch überwindet, dass das Werken, Handeln und Gestalten in der Welt in den Dienst des inneren Werdens gestellt wird. Die Alternative lautet dann nicht mehr inneres Werden oder äußeres Werk, sondern Werk nur im Dienst der äußeren Welt, oder Werk auch und vornehmlich im Dienste des inneren Werdens. Wir wollen versuchen, dieses etwas genauer zu verstehen. Das Grundprinzip ist so einfach wie das Ei des Kolumbus. Jede vollendete Leistung, jede reibungslos ablaufende Handlung oder zielsichere Tat sitzt, und das wissen wir alle, ein Können voraus. Jeder von uns aber macht die Erfahrung, dass irgendein Können, irgendeine Technik, nehmen wir z.B. die des Schreibmaschinenschreibens, auch wenn wir sie beherrschen, noch keineswegs immer die vollendete Leistung gewährleistet. Sie gelingt uns nämlich nur in dem Maße, als wir auch innerlich in Ordnung sind und in voller Gelassenheit die Bewährung der beherrschten Technik zuzulassen vermögen. Im Sport spricht man von der inneren Kondition, die zum Können hinzukommen muss, damit eine Leistung, die technisch an sich durchaus beherrscht wird, in vollendeter Weise gelingt. Diese Kondition ist etwas anderes als die Technik, denn sie bringt nicht unser Können, sondern unsere innere Form an den Tag. Und das, was man 'in Form sein' nennt, hat Wert nicht nur als Voraussetzung gesicherter Leistung, sondern als eine Qualität unserer inneren Verfassung. Der Mensch, der es vermag, ohne Erfolgsangst und Nervosität, ruhig und voller Gelassenheit in jede Bewährungsprobe hineinzugehen, bezeugt darin eine höhere Form seines Menschseins. Sie ist höher, weil er nicht mehr im Bann seines weltabhängigen Ichs steht, sondern frei ist, frei kraft der Präsenz seines überweltlichen Wesens. Haben wir dies einmal verstanden, so sind wir auch fähig zu begreifen, dass jegliche Handlung, jedes Können und so auch jede treu durchgeführte Übung, wenn wir darin nicht nur auf die äußere Leistung, sondern auf die innere Haltung bezogen sind, die Chance enthält, der inneren Läuterung und Verwandlung zu dienen. Ich gebe ein einfaches Beispiel, das auch im Zen geübt wird. Nehmen wir ein Blatt Papier und versuchen wir ganz langsam eine gerade Linie zu zeichnen, parallel darunter eine zweite und eine dritte und sofort. Rein technisch ist nichts dabei. Gewiss, wenn wir uns darin üben, werden die Linien immer besser. Aber doch werden wir immer kleine Fehler entdecken. Die Linien zeigen Schwankungen, Zacken, Wellen, und wenn man sie wie im Osten mit Pinsel und Tusche zieht, größere oder kleinere Verdickung und Flecken, die schon bei der geringsten Stockung entstehen. Woher kommen diese Fehler? Nicht von der Technik. Sie sind viel mehr Ausdruck innerer Fehlhaltungen und Störungen. Es fehlt uns die vertrauensvolle Gelassenheit, die nichts will und nichts fürchtet. Wir sind allzu sehr auf den Erfolg bedacht, bestrebt es möglichst gut zu machen, sind ängstlich, strengen uns an, reißen uns zusammen, halten den Atem an, verspannen uns, und statt, dass es besser wird, wird es immer schlechter. Dann aber kann es geschehen, dass wir müde werden, und schon gewillt unser erfolgloses Bemühen einzustellen, in unserer Gespanntheit nachlassen. Und als käme es nun schon nicht mehr darauf an, noch eine Linie herauslassen. Und siehe da, sie ist mit einem Male vollkommen. Was ist da geschehen? Wir hatten losgelassen. Wir hatten unser auf den äußeren Erfolg bedachtes Ich fallen lassen. Mit einem Wort: wir hatten das längst Gekonnte einfach zugelassen. Und daran kann es uns aufgehen. Wie sehr die Vollendung des Werkes an unserer inneren Haltung hängt, und so können wir nun im weiteren Üben dann das Erkennen und die Beseitigung unserer inneren Fehlhaltungen zum eigentlichen Sinn eines Übens machen, also lernen uns im Üben stetig an unserer Gelöstheit und Gelassenheit zu verbessern. Setzen wir dieses fort, zeichnen wir statt zwei oder drei, ganz langsam 100 Linien hintereinander, immer nach innen hin wach, dann haben wir uns innerlich etwas in Ordnung gebracht. Wir haben uns gleichsam selbst ein wenig gereinigt und fühlen die Wirkungen noch lange Stunden nach. Setzen wir diese Übung täglich einige Jahre lang, möglichst immer bis an die Grenze der Erschöpfung gehend, in der das Ich schweigt, fort, dann werden wir allmählich eine Verwandlung bemerken, die sich nicht nur in dieser Übung, sondern in allen Handlungen des Alltags bewährt. In der Übung, die treu dem inneren Weg dient, entsteht gleichsam ein neuer innerer Leib, ein geheimer Wegkörper, von dem aus wir uns immer mehr unter allen Bedingungen der Welt in reiner, das heißt, vom kleinen Ich befreiten Gebärde, vom unbedingten Wesen her darzulegen und zu bewähren vermögen. Und so kann auch der Alltag, gerade in der Wiederholung, gekonnte Handlung und Bewegungen zu einem Feld nie endender Übung werden. Was das im Einzelnen bedeutet, habe ich in meinem Buch "Der Alltag als Übung" gezeigt. Nur wer sein Wesen sucht, kann seine Abhängigkeit von der Welt einmal überwinden. Und nur wer die Vorherrschaft seines Weltichs überwindet, kann seine Seele befreien und endlich auch seinen Geist zu der Kraft entbinden, in der auch das von ihm in der Welt Gestaltete transparent bleibt für das Sein.

Es kommt nun alles darauf an, dass man recht versteht, was mit der Überwindung des Ichs gemeint ist. Ohne Ich kann der Mensch nicht leben, ohne Ich ist er kein personales Subjekt. Welches Ich ist es also, dessen Vorherrschaft dem Durchbruch zum Wesen und der Entfaltung aus dem Wesen im Weg steht? In den bisherigen Beispielen wurde es deutlich, dass jedenfalls die Vorherrschaft des ehrgeizigen auf Erfolg und Sicherheit bedachten Ichs fallen muss. Zen aber lehrt uns, dass wir unser natürliches Ich in einem noch sehr viel tieferen Sinn überwinden müssen. Und zwar handelt es sich dabei um das Ich als Träger einer Sicht des Lebens, in der nur das als tragende und sinngebende Wirklichkeit ernst genommen wird, was feststeht. Im Handeln und Denken kreist unser natürliches Ich immer um etwas, das feststeht. Sei es, dass wir im praktischen Leben um unsere gesicherte Stellung in der Welt besorgt sind, sei es, dass wir uns überhaupt in einem begrifflich feststehen Gefüge von Denk- und Wertordnungen bewegen, die wir sprachlich dann in klaren Begriffen festhalten. Immer sind wir am Feststehen orientiert. So leben wir aber in einem Gebäude, das in seinen Denkordnungen und Lebensformen feststeht. Aber eben, weil es feststeht, stellt es einen Widerspruch zum Leben dar. Die wahre Wirklichkeit, die Wirklichkeit des Lebens um uns und in uns, steht niemals fest. Das Lebendige ist immer Bewegung und Antrieb zu nie endender Verwandlung. Wo es also darum geht, dass das in unserem Wesen verkörperte Leben selbst in seiner Wahrheit und Wirklichkeit aufbricht und in uns durchbricht, muss das ganze Gebäude feststehender Lebens- und Denkordnungen zum Einsturz gebracht werden. Ebenso aber muss das Lebendige, das uns aus dem Wesen beseelt und bewegt, vor Verhärtung, insbesondere auch vor dem Feststellen durch Wort und Begriff, geschützt werden. Wir alle wissen, aus unserer täglichen Erfahrung, dass der Begriff, der etwas feststellt, lebendiges Erleben zum Stillstand bringt, dass ein lebendiges Gefühl dahinschwindet, wenn man es beredet, dass der Zauber eines uns lebendig erfüllenden Geheimnisses vergeht, wenn man es ausspricht, dass die Wirkmacht einer uns von innen her beseelenden Kraft nachlässt, wenn man sie besitzen will und feststellt. Andererseits wissen wir auch, dass wir, was Leben ist, am stärksten dann zu spüren bekommen, wenn irgendein Ereignis uns aus dem wohl eingefahrenen Geleise unseres Alltags herauswirft, sei es ein tiefer Schmerz, eine Verzweiflung, eine überwältigende Liebe oder eine uns hinreißende Begeisterung, irgendetwas, also, das uns übermannt, und das wohl eingespielte Gefühl unseres Denkens und Planens umwirft und uns durcheinander bringt. Im Grunde wissen wir alle, dass der Mensch nur an Erlebnissen reift, die ihn irgendwie treffen, ihn verletzen und umwerfen, also nur durch Ereignisse, die ihn aus der feststehen Ordnung seines Daseins herausreißen, das selbstverständlich gewordene Gefüge seiner Vorstellungen aus den Angeln heben und ihn gerade dadurch, dass sie den Übergang zu einer neuen Form erzwingen, im Stirb und Werde, im Wachsen und Reifen der Wahrheit des Lebens näher bringen. Diese auch uns geläufige Erfahrung ist im Zen zur Weisheit der Menschenführung geworden, die sich im Wirken der Meister zeigt. Alle Übungen des Zen laufen im Grunde auf das Gleiche hinaus. Dem sich so selbstverständlich in seiner fest eingefahrenen Weltsicht und Lebensordnung bergenden Ich, muss der Boden unter den Füßen weggezogen werden, damit der Mensch auf den wahren Grund kommt. Was feststeht, muss umgeworfen werden, woran man klebt, wird einem Entrissen, worauf man sich etwas einbildet, wird lächerlich gemacht, und was man zu sein dünkt, wird entlarvt, was man zu wissen glaubt, wird ad absurdum geführt, die gewohnte Einstellung zu denken und zu fragen, vernichtet, gegen die Kränkung, das hönische Lachen, der erschreckende Schrei, alles Mittel, die zum Einsturz bringen, was uns in der gewöhnlichen Ordnung unseres Selbst- und Weltbewusstseins trägt. Gerade der Einsturz des Gewordenen gibt dem Werdenden Raum, und durch das Loch in der schützenden Wand bricht das Licht des Lebens herein. Ein Mittel, dessen Zen sich bedient, um den Schüler der Erfahrung des wahren Lebens in ihm näher zu bringen, ist das Schweigen. Im Mittelpunkt des Lebens der Mönche steht die schweigende Versenkung, das Sitzen in Stille, aber nicht nur in den Klöstern wird dies geübt, es gehört viel mehr zur großen Tradition der östlichen Völker und ihrer Erziehung im Geiste, in unbeweglicher Stille die Begegnung mit dem eigenen Wesen zu suchen. Gerade aus dem Schweigen kann dem Suchenden die große Antwort zu teil werden, und so ist auch das Schweigen, ein Mittel der Meister den Schüler zum Erwachen zu bringen. Zahlreich sind die Beispiele, in denen der Schüler erwachte, als er von heißer Sehnsucht nach der Wahrheit erfüllt, den Meister aufsucht, um Antwort auf eine Frage zu erhalten, in der sich für ihn nach langem Suchen seine ganze Not zugespitzt hat. Er kommt zum Meister, der große, alles entscheidende Augenblick ist da, der Meister muss es ja wissen, dass nun alles von seiner Antwort abhängt. Was wird er sagen? Der Schüler stellt seine Frage. Und jetzt, jetzt muss die Antwort kommen. Und das unerwartete geschieht. Der Meister schaut ihn nur an, durchdringend an, und ... schweigt, schweigt ein ehernes Schweigen. Doch da gerade durchfährt es den Schüler wie ein Blitz. Das ganze Denkgebäude, aus dem das Fragen kam, bricht zusammen, und das Fraglose stürzt als das lebendige Selbst in ihn hinein. Heiß steigt es dem Schüler auf, ein Taumel packt ihn, er weint, er lacht, er ist erwacht. Zahlreich sind auch die Beispiele, in denen der Meister den Schüler belehrt, dass nichts gefährlicher ist als das festlegende Wort, insbesondere dann, wenn er sich der großen Erfahrung nähert oder sie gehabt hat. Ein Beispiel: ein Schüler kommt von einer Pilgerschaft heim, auf der er Satori hatte. Erfürchtig nähert er sich dem Meister, der ihn schweigend erwartet und geht vor ihm auf die Knie. Doch in dem Augenblick, indem er den Kopf hebt und beginnen will, etwas zu sagen, sausen 30 harte Stockschläge auf ihn nieder. "Aber Meister", fragt er, "warum das? Ich habe ja noch kein Wort gesagt.". Die Antwort des Meisters: "hättest du auch nur ein Wort gesagt, es wäre zu spät gewesen.". Indem er den Schüler verhindert, seine Erfahrung in Worte zu fassen, rettet er ihm den Schatz, den sie birgt. Ein anderes Beispiel: Der Schüler betritt das Zimmer des Meisters, und dieser erkennt sofort, dass der Schüler die große Erfahrung gehabt hat. Und nun macht er noch eine letzte Prüfung: Der Schüler kniet schweigend vor ihm nieder, und der Meister sagt ruhig: "So, nun hast du es also." und der unglückselige Schüler antwortet: "Ja, Meister, ich hab's!". "Nichts hast du mehr!", brüllt der Meister ihn an, "scher dich hinaus!".

Die alte Weisheit der Mystiker, sehen als sehe man nicht, haben als hätte man nicht, tun als täte man nicht, aber wie schwer ist das, wie schwer das lassen. Wir wollen immer halten, festhalten, haften. Zen, wie der ganze Buddhismus erkennt als die tiefste Wurzel der Sünde, das heißt der Sonderung vom wahren Leben das Haften. Haften meint festhalten, was man hat, weiß oder kann. Festgelegt sein durch Vorstellungen ist Haften, festgelegt sein durch Bilder ist Haften, festgelegt sein in bestimmten Gewohnheiten ist haften, festgelegt sein in einer begrifflich fassbaren Weltsicht ist Haften, jedes Stehenbleiben ist Haften. Wenn wir aber stehen bleiben, dann steht auch das Leben in uns still, und wir hören auf, wirkliche Zeugen des Lebens zu sein. Darum auch wird nur der, der, wenn es um die innere Wahrheit geht, nicht nur seine Stellung in der Welt, sondern auch die seinem Weltich natürliche Lebenseinstellung, immer wieder aufs Spiel zu setzen vermag, das Übernatürliche, das große Leben in sich erfahren und zu innerst, vom überweltlichen Sein bewegt, fähig sein, ihm in der Welt zu dienen.

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